Aconitum
Aconitum-Drogen
Aconiti Radix cocta (praeparata) (zhi chuan wu), Aconiti lateralis Radix praeparata (fu zi) und Aconiti kusnezoffi Radix cocta (praeparata) (zhi cao wu) sind essentielle Drogen der Chinesischen Arzneitherapie (CA). Daneben spielt noch Aconiti coreani Radix praeparata (zhi guan bai fu) eine gewisse Rolle. Die botanischen Spezies aus welchen die Arzneien gewonnen werden, zählen zur hochtoxischen Gattung Aconitum. Durch Fehlanwendungen wie eine unzureichend vorbehandelte Droge oder Überdosierungen, oft unter volksmedizinischen Bedingungen sind viele Todesfälle in China und Hongkong – hier vor allem in der Zeit unter britischer Verwaltung, ohne Regulation der Chinesische Medizin - zu beklagen[1]. Ein weiterer, wichtiger Grund für Aconitum-Vergiftungen sind die Verwendung der Arznei als Lebensmittel in "Kraftsuppen" [2].
Verschiedene Aconitum-Arten haben in vielen Ländern der Welt eine lange Geschichte, angefangen von Pfeilgift über Morde und Selbstmorde bis zu medizinischen Anwendungen, einschließlich darunter vorkommender Vergiftungsfälle. Extractum Aconiti, später die Reinsubstanz Aconitin waren bis 1948 Bestandteil des Deutschen Arzneibuchs. Im Unterschied zur europäischen Medizin haben es die Chinesen schon vor 1800 Jahren verstanden, die Drogen zu entgiften, ohne dass die therapeutische Wirkung verloren geht.
Die entscheidenden toxischen Alkaloide der Aconitum-Drogen sind Aconitin, Mesaconitin und Hypaconitin. Die ersten beiden davon sind in ihrer Toxizität vergleichbar, das letztgenannte ist etwa um den Faktor 5 geringer toxisch wirksam. Für den Menschen sind circa 1,5 bis 6 mg Aconitin tödlich [3]. Es handelt sich bei diesen Verbindungen um Diester-Diterpenoid-Alkaloide. Durch eine Hydrolyse wird Essigsäure abgespalten und es entstehen die Substanzen Benzoylaconin, Benzoylmesaconin bzw. Benzoylhypaconin, die ungefähr um den Faktor 200 weniger toxisch sind [4]. Durch einen weiteren Hydrolyseschritt entstehen die in ihrer Toxizität nochmals geminderten Substanzen Aconin, Mesaconin und Hypaconin. Die Hydrolyse wird überwiegend durch längeres Einlegen in Wasser oder Salzlösung und anschließendes Kochen darin und/oder Dämpfen vollzogen. Die präparierten Drogen sind im Tierversuch (LD50 bei der Maus) grob gerechnet um den Faktor 200 weniger toxisch als die Rohdrogen [5].
Vergiftungssymptome
Das erste Symptom einer Aconitum-Überdosierung sind Parästhesien der Zunge, meist als Zungenbrennen beschrieben. Diese sollten ein Warnsignal sein, die Drogenqualität und die Dosierung zu überprüfen bzw. abzusenken. Im weiteren Verlauf einer Vergiftung können sich die Parästhesien über den ganzen Körper ausbreiten, und es kommt zu Schwindel, Übelkeit und Erbrechen, mitunter auch zu Bauchschmerzen und Diarrhö. Schwere Nebenwirkungen sind kardialer Art mit Palpitationen, Hypotension, Brustschmerz und Herzrhythmusstörungen (Blockbilder, ventrikuläre Tachykardie, Kammerflimmern), die meist Ursache für tödliche Folgen sind. Neurologische Auswirkungen sind Muskelschwäche, Lähmungen und Bewusstseinsstörungen. Wenn die Intoxikation überlebt wird, setzt nach ca. 30 Stunden die Erholung ein, ohne dass Schäden zurückbleiben. Eine definitiv wirksame medikamentöse Therapie der Herzrhythmusstörungen ist nicht bekannt.
Die Sensitivität für Vergiftungen ist generell intraindividuell sehr verschieden ausgeprägt, und das gilt auch für die Aconitum-Drogen. Laut Fallberichten verstarb eine 59jährige Frau nach Einnahme von 5 Tagesdosen von 10g Aconiti kusnezoffii Radix praeparata (cao wu) an Kammerflimmern [6], andererseits überlebte eine 59jährige Frau die Einnahme von unbehandelter Aconiti Radix plus Aconiti Kusnezoffii Radix, insgesamt 50g innerhalb von 2 bis 3 Tagen, wobei Symptome überhaupt erst nach der 3. Dosis auftraten [7]. Natürlich spielen dabei das Ausmass der Vorbehandlung und die Drogenqualität eine Rolle.
Bei ordnungsgemäß vorbehandelten Aconitum-Drogen, wie sie in Europa üblich sind, bei angemessener Dosierung und Beachtung von Kontraindikationen ist kein ernsthaftes Risiko zu befürchten. Übliche Messwerte für die Diester-Diterpenoid-Alkaloide in Europa liegen in der Regel in einem sehr niedrigen Bereich oder unterhalb der Nachweisgrenze. Die Vorgaben des Chinesischen Arzneibuchs lassen einen relativ hohen Wert von 0,020% (für fu zi, entsprechend 200µg/g) bzw. 0.040% (für chuan wu und cao wu, entsprechend 400µg/g) zu. Falls eine Arzneidroge diese Werte ausschöpft und im Rahmen der Feuerschule mit überhöhter Dosierung angewendet wird, sind ernsthafte Risiken möglich, auch wenn bislang in Europa keine derartigen Fälle bekannt geworden sind.
Aus Europa ist nur ein einziger Fall einer Aconitum-Vergiftung durch ein (wahrscheinlich) chinesisches Heilmittel publiziert, und zwar handelte es sich um die versehentliche perorale Einnahme eines Mittels zum Einreiben durch einen Chinesen in London. Die aufgenommene Aconitinmenge wurde auf 1 bis 5mg geschätzt, die Intoxikation mit nachfolgendem Kammerflimmern überlebt [8]. Die japanische Pharmakopöe gibt eine Maximalmenge von 450 µg Diesteralkaloide pro g Aconiti Radix vor (aufgeteilt auf die verschiedenen Alkaloide) [9], was als ein ausreichend sicherer Wert erscheint. Im Rahmen einer klinischen Studie in Japan wurde ein Aconitum-Extrakt mit einem Diester-Alkaloid-Gesamtgehalt von 86 µg/g in einer Dosis von bis zu 6g zusammen mit anderen Extrakten verabreicht. Unter 593 Patienten traten nur 5 Nebenwirkungen leichterer Art auf [10].
Schlussfolgerung
Aconitum Drogen sollten nur aus zuverlässigen Quellen bezogen und die Maximaldosierungen, Kontraindikationen und Vorsichtsmaßnahmen beachtet werden (s. u.). Bei Auftreten von Nebenwirkungen wie Zungenbrennen oder Übelkeit sind die Drogenqualität und die Dosierung zu überprüfen. Im Zweifelsfall sollten Messergebnisse für die Diterpenoid-Alkaloide beim Lieferanten erfragt werden. Eine Komedikation der Aconitum-Drogen mit Evodia Fructus (wu zhu yu)oder Digitalis ist zu vermeiden, da diese über einen ähnlichen pharmakologischen Mechanismus wirken (Na+/K+ Pumpe); auch bei Antiarrhythmika könnten ernsthafte Interaktionen auftreten. Bei Einhalten dieser Prämissen besteht für diese essentiellen Drogen der CA kein signifikantes Risiko.
Sicherheitsmaßnahmen für die Verwendung von Aconitum-Drogen
Maximaldosierungen
Aconiti lateralis Radix praeparata (fu zi) 15g
Aconiti Radix cocta (praeparata) (zhi chuan wu) 3g
Aconiti kusnezoffi Radix cocta (praeparata) (zhi cao wu) 3g
Kontraindikationen
Herzerkrankungen (Herzinsuffizienz, koronare Herzkrankheit), Schwangerschaft, Stillzeit, Komedikation mit Evodia Fructus (wu zhu yu), Digitalis oder Antiarrhythmika.
Vorsicht bei
Kindern, alten Menschen, Yin-Mangel, Yang-Übermaß, Hitzezuständen, Komedikation mit Ephedrae Herba (ma huang), Periplocae Cortex (xiang jia pi) or Fossilia Ossis Mastodi (long gu).
Quellen
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- Blaschek W, Ebel S, Hackenthal E, et al. Aconitum. Hagers Enzyklopädie der Arzneistoffe und Drogen. 6. Aufl. Bd. 1. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, 2007:257-278
- Sato H, Yamada C, Konno C, et al. Pharmacological actions of aconitine alkaloids. Tohoku J Exp Med 1979;128:175-87
- Hikino H, Yamada C, Nakamura K, et al. [Change of alkaloid composition and acute toxicity of Aconitum roots during processing] (Japanese). Yakugaku Zasshi 1977;97:359-66
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- Lin CC, Chan TY and Deng JF. Clinical features and management of herb-induced aconitine poisoning. Ann Emerg Med 2004;43:574-9
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- Ministry of Health Labour and Welfare. The Japanese Pharmacopoeia XVI. Edition, English Version. 2011
- Nagasaka K, Tatsumi T, Natori M and Hikiami H. Study of Shuchi-Bushi, a powder type of Aconiti Tuber after being autoclaved, especially concerning side effects. Usage and dosage of shuchi-bushi from this study. Kampo Med 2005;56:797-800
Amygdalin
Amygdalin-haltige Drogen in der Chinesischen Medizin
Amygdalin ist ein wesentlicher Inhaltsstoff der bitteren Mandeln. Auch in den chinesischen Arzneidrogen Armeniacae Semen amarum (ku xing ren, Aprikosenkerne), Persicae Semen (tao ren, Pfirsichkerne), Pruni Semen (yu li ren) und Mume Fructus (wu mei) ist der Stoff in absteigender Konzentration enthalten. Diese Drogen werden seit mindestens 1800 Jahren in der Chinesischen Medizin eingesetzt und sind bereits in der ersten chinesischen Pharmakopöe, dem shen nong ben cao jing (ca. 220 n. Chr.), enthalten. Armeniacae Semen ist eine wichtige Arznei zur Behandlung von Husten und Asthma, Persicae Semen ein wichtiges Mittel zur Behandlung von Blutstase. Zusätzlich befeuchten beide Drogen den Darm und sind damit günstig bei Obstipation einzusetzen. Xing ren gilt traditionell als leicht toxisch.
Amygdalin als solches ist relativ wenig toxisch. Toxisch wird es, wenn aus ihm durch enzymatischen Abbau Zyanwasserstoff (Blausäure, HCN) freigesetzt wird. Zyanwasserstoff blockiert die Zellatmung, so dass die Zellen keine ausreichende Energie bilden können und absterben. Dem menschlichen Gewebe fehlen die für die Zyanidfreisetzung notwendigen Enzyme, so dass intravenös zugeführtes Amygdalin erst in hohen Dosen gefährlich wird. Die Enzyme sind jedoch in den pflanzlichen Ausgangsmaterialien selbst und in geringerem Ausmaß in der Darmflora vorhanden. In zwei Schritten spalten diese Enzyme jeweils Glukose ab, wobei Mandelonitril entsteht, das durch einen weiteren Hydrolyseschritt in Zyanwasserstoff und Benzaldehyd zerfällt.
Amygdalin wird für einen wichtigen Inhaltsstoff der o.g. Drogen gehalten, eine Reihe pharmakologischer Wirkungen ist für diesen Stoff nachgewiesen [1, 2]. Das chinesische Arzneibuch fordert für Armeniacae Semen amarum einen Mindestgehalt von 3,0 Prozent bzw. 2,5 Prozent für die prozessierte Droge, für Persicae Semen 2,0 Prozent [3]. Damit die Toxizität möglichst gering bleibt, müssen die für den Abbau erforderlichen Enzyme eliminiert werden. Hitze zerstört Amygdalin nicht [4]. In kochendem Wasser wurde aus bitteren Mandeln nach 100 Minuten der maximale Amygdalingehalt extrahiert, danach fiel der Gehalt durch Bildung eines chemischen Epimers (Neoamygdalin) ab [5].
Hitze zerstört jedoch die Hydrolyse-Enzyme, die in den Drogen enthalten sind. Dadurch wird das Potenzial für die Bildung toxischen Cyanwasserstoffs deutlich reduziert. Gefährlich sind Aprikosen- oder Pfirsichkerne, die ohne vorheriges Erhitzen zerkleinert und dann in kurzem Zeitabstand eingenommen werden, so dass die Enzyme freigesetzt werden und ihre Wirkung entfalten können. Auch durch Zerkauen der Kerne werden die Enzyme freigesetzt. Lässt man die Enzyme lange Zeit einwirken, entweicht der entstehende Zyanwasserstoff in die Atmosphäre [5] und die Toxizität verringert sich. Auch durch längeres Lagern der unbehandelten Drogen schwindet der Amygdalingehalt, während durch Hitzebehandlung der Drogen und damit Zerstörung der Enzyme der Gehalt deutlich weniger abnimmt [6].
Mit der Toxizität von Amygdalin existiert viel Erfahrung, weil dieser Stoff unter dem Namen Laetrile zigtausendfach zur Behandlung von Krebs, vor allem in den USA, verwendet wurde. Obwohl er für diese Indikation offensichtlich unwirksam ist, lebte in den 1950’er bis 1980’er Jahren eine florierende Industrie davon. Auch heute noch wird er gelegentlich für diesen Zweck verwendet. Die Dosierung betrug meist zwischen 0,5 und 2,5g pro Tag [7], der Standard war 3mal 0,5g. Eine Reihe von Vergiftungserscheinungen, auch Todesfälle, sind in der Literatur beschrieben. In diesen Fällen lag die Dosis bei Erwachsenen jeweils bei 1,5g und mehr, bei Kindern reichten mitunter schon 0,5g [8-10]. In einem einzigen Fall ist bei Erwachsenen eine Toxizität bei 0,5g Amygdalin beschrieben [8], allerdings sind nähere Details zu dieser Fallmeldung nicht allgemein zugänglich und die Umstände nicht beurteilbar. In einer pharmakologischen Studie an 6 gesunden Menschen wurden unter einer Dosis von 3 mal 0,5g oral keine Nebenwirkungen beobachtet [11]. In einer klinischen Studie an 178 Patienten mit fortgeschrittener Krebserkrankung wurde eine Dosis von 3 mal 0,5g, in einer Minderzahl auch 4 mal 0,5g oral eingesetzt. Bei etwa 30 Prozent der Patienten traten Nebenwirkungen auf, die jedoch keine schweren Ausmaße annahmen [12].
Bei chronischem Gebrauch kann Amygdalin wahrscheinlich zu einer Neuropathie führen, die schon ab 0,5g Tagesdosis beschrieben wurde [13, 14]. Auch über eine Agranulozytose unter 5jähriger Einnahme von 1g Tagesdosis wurde berichtet [15].
Die höchsten Amygdalingehalte, die wir für chinesische Drogen finden konnten, liegen für Armeniacae Semen amarum bei 6,14 % [16], für Persicae Semen bei 3,68% [17]. Nimmt man die offiziellen Maximaldosierungen von jeweils 10g pro Tag [3] ein, so werden maximal 0,61 bzw. 0,37 g Amygdalin zugeführt. Bei der Dekoktherstellung wird das Amygdalin nicht vollständig extrahiert, nach ein- oder zweimaligen Kochen in Wasser über jeweils 60 Minuten liegen die Extraktionsraten bei 74 bzw. 55,7 % [18, 19]. In kochendem Wasser wird zeitabhängig auch ein Teil des Amygdalins in Neoamygdalin umgewandelt [20], das ein Epimer des Amygdalins ist, mit unterschiedlicher Wirkung. Bei der regelhaften Anwendung als Dekokt liegen die zugeführten Amygdalinmengen somit deutlich unter der Toxizitätsgrenze für eine akute Vergiftung.
Aprikosenkerne, die ohne Enzyminaktivierung eingenommen werden, können schon bei relativ geringer Amygdalinmenge fatale Folgen haben. Eine Buchautorin und Vermarkterin von Laetrile wurde selbst Opfer des von ihr propagierten Mittels, nachdem sie 25 Aprikosenkerne (entsprechend etwa 15g) zu Pulver zermahlen, geröstet und mit Honig vermischt eingenommen hatte. Sie landete in komatösen Zustand auf der Intensivstation [21]. Eine 42-jährige Brustkrebspatientin nahm zusätzlich zu einer täglichen Laetrile-Dosis von 1g zerstoßene Aprikosenkerne in Kapselform ein, die vermutlich die Hydrolyseenzyme enthielten, und starb daran [21]. Eine 41jährige Frau verzehrte ca. 30 Aprikosenkerne aus einer als „health food“ vertriebenen Packung und landete mit Koma und Hypothermie auf der Notfallstation [22].
Als Dekokt oder Granulat eingenommen und bei Einhaltung der vorgesehenen Dosierung ist keine Toxizität durch Amygdalin-haltige chinesische Arzneidrogen zu befürchten [23]. Wir haben in der Literatur keine Hinweise auf höhergradige Nebenwirkungen unter fachgerechter Anwendung der Chinesischen Arzneitherapie gefunden. Die Maximaldosis, insbesondere für Armeniacae Semen amarum, muss jedoch beachtet werden, für empfindliche Personen, wie Kinder und alte Menschen, ist sie entsprechend niedriger anzusetzen. Die Tagesdosis sollte auch nicht auf einmal eingenommen, sondern auf zwei oder mehr Einnahmen mit deutlichem zeitlichem Abstand dazwischen aufgeteilt werden. In der Schwangerschaft sind die Amygdalin-haltigen Arzneidrogen kontraindiziert, zumal Amygdalin (in Form von Laetrile), schwangeren Hamstern zugeführt, Missbildungen bei den Nachkommen erzeugte [24]. Eine Langzeit-Anwendung von Amygdalin-haltigen Drogen ist zu vermeiden.
Wie viele chinesische Quellen beschreiben, sollten die Drogen Armeniacae Semen amarum und Persicae Semen durch kurzes Kochen in Wasser (ca. 5 Minuten) oder andere Hitzebehandlungen prozessiert werden, so dass die Enzyme deaktiviert werden und die Lagerbeständigkeit verbessert wird [25, 26]. Diese so vorbehandelten Drogen sollten nicht zu kurz dekoktiert werden, um eventuell noch bestehende Restenzymaktivitäten zu zerstören und ausreichende Konzentrationen des durchaus erwünschten Amygdalins im Dekokt zu erzielen.
Quellen:
1. Tang W, Eisenbrand G. Handbook of Chinese Medicinal Plants. Chemistry, Pharmacology, Toxicology. Vol. 2. Weinheim: WILEY-VCH Verlag GmbH & Co., 2011
2. Yang C, Zhao J, Cheng Y et al. Bioactivity-guided fractionation identifies amygdalin as a potent neurotrophic agent from herbal medicine Semen Persicae extract. Biomed Res Int 2014;2014:306857
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4. Rahway NJ. The Merck index. An encyclopedia of chemicals, drugs, and biologicals. New York: Merck and Company, 1989
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6. Hou RQ. [The principle of the processing of Semen Armeniacae amarum] (Chinese). Shenyang Yaoke Daxue Xuebao 1997;14:130-132
7. Baselt RCe. Amygdalin. Disposition of toxic drugs and chemicals in man. 9th ed. Seal Beach, California: Biomedical Publications, 2011:93-95
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Asari Radix et Rhizoma, Xi xin
Verbot von Asarum, eine fragwürdige Sicherheitsphilosophie
Dt Zschr Akupunktur 54(2), 2011:47-50
Banning of Asarum – A Case of Questionable Safety Measures
Nachdem in den 90’er Jahren bekannt wurde, dass Aristolochiasäure(AA)-I und –II eine schwere Nephropathie und urotheliale Karzinome hervorgerufen können, fielen auch Aristolochiasäuregehalte in Asarumarten auf. Die in der Literatur veröffentlichten AA-I und AA-II-Gehalte sind jedoch meist gering und liegen teilweise unter der Nachweisgrenze. Im Jahre 2010 wurde in der Schweiz und in Deutschland die Verwendung von Pflanzen der Gattung Asarum in Arzneimitteln verboten. Verglichen mit dem, was bei konventionellen Arzneimitteln oder bei Risiken des täglichen Lebens toleriert wird, ist die die Risikotoleranz hier extrem niedrig angesetzt. Das Totalverbot von Asarum erscheint unangemessen.
Wegen der Aristolochiasäuregehalte wurde im Jahre 2010 in der Schweiz und in Deutschland die Verwendung von Pflanzen der Gattung Asarum in Arzneimitteln verboten. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geht bei diesem Verbot davon aus, dass bei 2jähriger Anwendung ein 50prozentiges Tumorrisiko für die Lebenszeit bei höchstens einer von 1.000.000 Personen tolerabel sei. Dieses Sicherheitsrisiko ist verglichen mit dem, was bei konventionellen Arzneimitteln oder bei Risiken des täglichen Lebens toleriert wird, extrem niedrig angesetzt. Bei einer realistischeren Risikokalkulation, die zahlenmäßig im Bereich des Todesfallrisikos liegt, das für die Gesamtbevölkerung durch den Betrieb von kerntechnischen Anlagen in Deutschland pro Expositionsjahr toleriert wird, könnte das Gesundheitsrisiko durch Begrenzung der Anwendungsdauer und Verwendung von Xi xin-Drogen mit gesicherter Qualität ausreichend minimiert werden. Das Totalverbot von Asarum erscheint unangemessen.
Schlüsselwörter: Chinesische Arzneitherapie, Asarum, Xi xin, Aristolochiasäure, Nephropathie, Tumorrisiko, unerwünschte Arzneimittelreaktion
Abstract
Xi xin – radix et rhizoma asari – is a classical drug in Chinese medicine which is vitally important to various of applications that make it difficult to replace. After it became public in the 1990s that aristolochic acid (AA)-I and –II can cause nephropathia and urothelic carcinoma, aristolochic acid content of asarum species received quite some attention. The AA-I as well as AA-II contents documented in medical literature are actually low, in some cases even undetectable. Asarum crispulatum however, which is not officinal, is characterised by an extremely high AA content. Due to this, in 2010 the use of asarum species was banned in Germany and Switzerland. The Federal Institute for Drugs and Medicinal Devices (BfArM) concedes that during a 2-year use, a 50 % life time tumor risk is only tolerable in 1 out of 1,000,000 persons. Compared to conventional drugs as well as to every day life risks, the safety threshold in this case seems unusually low. By applying more realistic calculations similar to, for instance, the casualty risk for the entire population posed by the use of nuclear energy in Germany per annum, health risks could be controlled by limiting the duration of use, as well as enforcing strict quality control measures on xi xin drugs. A total ban of asarum species, however, seems inappropriate.
Key words: Chinese Herbal Medicine, Asarum, Xi xin, aristolochic acid, nephropathia, tumor risk, adverse drug event
Xi xin – Radix et Rhizoma Asari – ist eine klassische Droge der chinesischen Medizin, die schon in der ersten überlieferten Materia Medica, dem shen nong ben cao jing aus der späten Han-Zeit enthalten war. In der Chinesischen Medizin hat xi xin die Qualitäten scharf und warm, öffnet die Oberfläche, zerstreut Kälte, leitet Wind, Kälte, Feuchtigkeit und Schleim aus und beseitigt Schmerz. Es wird besonders bei Erkältungen, Husten mit dünnflüssigem Sputum sowie Kopf-, Zahn- und Gelenkschmerzen verwendet. Es ist für verschiedene Anwendungen eine essentielle Droge, die durch andere Mittel schwer zu ersetzen ist.
Traditionell ist die Droge vorsichtig zu dosieren, die offizielle Tagesdosis liegt bei 1 bis 3g Rohdroge [1]. Überdosierung kann zu Nebenwirkungen bis hin zu letalem Ausgang führen [2, 3]. Die toxischen Reaktionen werden auf den Inhaltsstoff Safrol zurückgeführt [3]. Safrol gilt auch als schwach hepatocancerogen und gentoxisch. Durch Dekoktieren wird der Gehalt erheblich reduziert und dann als tolerabel angesehen. [4].
Eine ganz andere Problematik tauchte auf, als in den 90’er Jahren Aristolochiasäuren in chinesischen Aristolochia-Drogen als Ursache für eine Reihe schwerer Nephropathien identifiziert wurden, die in einer Belgischen Schlankheitsklinik aufgetreten waren. In der Folge wurden weltweit weitere Fälle aufgedeckt [5], viele davon entwickelten urotheliale Karzinome [6]. Aristolochiasäuren waren schon vorher als stark krebserregend bekannt und hatten 1981 in Deutschland zum Verbot Aristolochiasäure-haltiger Arzneimittel geführt [5]. Im Zuge der in verschiedenen Ländern eingeleiteten Vorsichtsmaßnahmen und Verbote fiel auch ein Aristolochiasäure-Gehalt bei Asarum-Arten auf, der jedoch, wenn er überhaupt nachweisbar war, deutlich unter den bei den Aristolochia-Drogen gemessenen Werten lag.
Um das Risiko zu minimieren, wurde in der Chinesischen Pharmakopöe von 2005 der offiziell verwendete Pflanzenteil, der vorübergehend wegen Beschaffungsproblemen auf Herba, also den oberirdischen Teil umgestellt worden war, auf Radix et Rhizoma geändert, weil diese Teile einen geringeren Aristolochiasäuregehalt aufweisen. In Hongkong wurde bereits 2004 der Vertrieb von Herba oder Planta tota von Asarum verboten und nur noch Radix zugelassen [7].
Aristolochiasäuregehalte in Asarum
Aus der Literatur gehen die in Tab. 1 wiedergegebenen Werte für Aristolochiasäuregehalte von in der Chinesischen Medizin verwendeten Asarumarten hervor [8-12]. Legt man die offizinellen Pflanzenspezies für xi xin und die offizinellen Pflanzenteile (Radix et Rhizoma bzw. Radix) zugrunde (grün unterlegt), so liegen die Werte für Aristolochiasäure-I (AA-I) fast alle unter 1 μg/g, nur ein Wert fällt mit 2,16 μg/g höher aus. Der Gehalt an Aristolochiasäure-II (AA-II) ist im Allgemeinen deutlich niedriger und nur in einem Teil der Arbeiten untersucht worden.
Die Arbeit von Zhao und Mitarbeitern [12] verglich bei mehreren Proben den AA-I-Wert für einen wässrigen Extrakt mit dem für einen methanolischen Extrakt. Bei methanolischer Extraktion findet man im Extrakt einen Großteil der pflanzeneigenen Aristolochiasäure wieder, während der wässrige Extrakt je nach Extraktionsbedingungen mehr oder weniger einem Dekokt entspricht. In diesem Fall wurden die Drogen 20 Minuten in Wasser eingeweicht und dann 40 Minuten lang gekocht. Man erkennt aus den Messwerten (s. Tab. 1), dass durch die wässrige Extraktion der Aristolochiasäuregehalt deutlich abgereichert wird, und zwar bei Radix um einen Faktor zwischen 4,7 bis 18,6. Da durch wässrige Extraktion auch Granulate hergestellt werden, ist ein analoger Sicherheitsabstand auch auf diese übertragbar. Xi xin sollte nicht in Form der pulverisierten Rohdroge eingenommen werden, da in diesem Fall der volle Aristolochiasäuregehalt zur Geltung kommt.
Andere Pflanzenteile, nämlich die oberirdischen Teile (Herba) bzw. die ganze Pflanze (Planta tota) enthalten deutlich höhere Aristolochiasäuregehalte, das Maximum der veröffentlichten Werte liegt bei bedenklichen 142 μg/g. Dramatisch wird es bei einer nicht-offizinellen Spezies, nämlich Asarum crispulatum, das in Sichuan als lokale Variante für xi xin verwendet wird, mit einem Wert von 3.376,9 μg/g [9]. Dieser Wert entspricht einem mittleren Bereich für Gehalte, wie sie in den folgenschweren Aristolochia-Drogen bestimmt wurden [8]. Hieraus ist ersichtlich, wie wichtig der Einsatz offizineller Drogen mit valider Identitätsbestimmung ist.
Verbot durch das BfArM
In Deutschland wurde – ähnlich wie bereits vorher in der Schweiz – mit Bescheid des BfArM vom 22.07.2010 die Verwendung von Pflanzen der Gattung Asarum in Arzneimitteln verboten [13]. Anlass war der Nachweis von AA-I in homöopathischen Urtinkturen von Asarum europaeum mit Werten von 5,1 und 2,7 μg/g. Im Bescheid wird auch auf Literaturangaben mit höheren Aristolochiasäuregehalten hingewiesen, darunter auch auf den oben genannten hohen Wert in Asarum crispulatum.
Bei der Abschätzung des Risikos geht das BfArM von einem tolerablen „cancer life time risk“ von 1:1.000.000 aus. Danach ergibt sich unter Zugrundelegung einer linearen Dosis-Wirkungs-Beziehung bei zweijähriger Aufnahme eine „virtually safe dose“ von 0,36 ng Aristolochiasäure pro Tag. Für Homöopathika wird der oben genannte höchste je für eine Asarum-Art veröffentlichte Aristolochiasäuregehalt von 3.377 μg/g zugrunde gelegt, dabei werde die tolerable Dosis erst ab einer Potenzstufe von D9 unterschritten, mit entsprechendem Sicherheitsabstand werden erst Potenzstufen ab D11 für unbedenklich erklärt. Geht man von den niedrigsten veröffentlichten Aristolochiasäuregehalten im Dekokt für offizinelle Drogen aus, nämlich 0,04 μg/g, so wird die „virtually safe dose“ bei Aufnahme von 1g xi xin gerade überschritten. Aber: Sind die Annahmen für die Berechnung realistisch?
Realitätsferne Sicherheitsvorgaben
Um es noch einmal klar zu formulieren: Das BfArM hält es für gerade noch tolerabel, dass durch Aufnahme von Aristolochiasäure in Phytotherapeutika in einem von 1 Million Fällen über die Lebenszeit gerechnet mit 50prozentiger Wahrscheinlichkeit ein Tumor auftritt.Dieser Sicherheitsfaktor liegt jedoch weit jenseits tolerierter Risiken bei konventionellen Arzneimitteln.
Nach der WHI-Studie erkrankten durch Hormonersatztherapie pro Jahr(!) und pro 1 Million gesunder Frauen 700 zusätzlich an koronarer Herzkrankheit, 800 zusätzlich an Schlaganfällen, 1.800 an venösen Thrombosen und 800 an invasivem Brustkrebs. Die dem gegenüberstehenden 500 Hüftfrakturen und 600 kolorektalen Karzinome weniger wiegen die Negativbilanz nicht auf [14]. Die Hormonersatztherapie ist immer noch zugelassen, wobei deren Sinnhaftigkeit hier nicht diskutiert werden soll. Das wegen eines erhöhten Herzinsuffizienz- und Frakturrisikos umstrittene Antidiabetikum Pioglitazon verursachte nach Auswertung zweier 3-Jahres-Studien bei den Studienteilnehmern 0,3 % (Absolutwert) mehr Blasenkrebs als unter Placebo oder Glibenclamid, das entspricht einer zusätzlichen Karzinominzidenz von 3.000 auf 1 Million innerhalb dieses 3-Jahres-Zeitraums [15].
Erst recht eklatant wird das Sicherheitsgefälle, wenn man allgemeine Risiken des täglichen Lebens heranzieht. So verursacht Tabakrauchen zum Zeitpunkt der Ersterhebung nach einer Untersuchung aus Großbritannien innerhalb von 20 Jahren, wenn man die Daten auf 1.000.000 Erwachsene hochrechnet, 99.485 Todesfälle (errechnet nach [16]). Dabei sind Tabakprodukte ohne Einschränkungen für jedermann im Erwachsenenalter erhältlich.
Sicherlich ist ein Risiko immer im Vergleich zum Nutzen zu bewerten. Die Arzneimittelbehörden verfahren dabei jedoch offensichtlich nach einer Alles-Oder-Nichts-Regel: Wenn die Wirksamkeit eines Arzneimittels – und sei sie auch von noch so geringem Ausmaß - mit Ia- oder zumindest Ib-Evidenz nachgewiesen ist, wird ein mitunter hohes Risiko akzeptiert, während bei ausschließlich erfahrungsbasiert belegtem Nutzen eine Quasi-Null-Risiko-Forderung gilt. Diese Vorgehensweise ist nicht akzeptabel und lebensfremd. Wie das Beispiel Tabakprodukte zeigt – und hier könnten weitere wie Alkohol, Luftverschmutzung usw. angeführt werden, gilt dieser Purismus in anderen Bereichen nicht, wobei das Ausmaß der diesbezüglich tolerierten Gesundheitsschäden nicht gutgeheißen werden soll. Es drängt sich der Eindruck auf, dass konventionelle und komplementäre Therapieverfahren mit zweierlei Maß gemessen werden, wofür wohl das vorherrschende Medizinparadigma verantwortlich zu machen ist.
Andere Möglichkeiten der Risikobegrenzung wären möglich
Eine realistischere und dennoch durchaus weitgehende Risikominimierung könnte z.B. folgendermaßen aussehen: Unter Heranziehung der Grundannahmen des BfArM (die hier nicht näher untersucht werden sollen) wird eine 50prozentige Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Tumors in 1 auf 10.000 Personenfälle - über die Lebenszeit gerechnet - toleriert und die Anwendungsdauer bei einer Dosis von maximal 3g Droge pro Tag auf höchstens 6 Wochen begrenzt. Diese Limits könnten bei einem Aristolochiasäuregehalt von unter 0,1 μg/g im unter standardisierten Bedingungen hergestellten Dekokt (AA-I und AA–II zusammenaddiert) das Tumorrisiko auf das angegebene Maß begrenzen. Die Einhaltung dieses Maximalgehaltes wäre bei Verwendung offizineller Drogen mit niedrigem Aristolochiasäure-Gehalt möglich. Für Granulate könnte der Gehalt entsprechend dem Droge-Extrakt-Verhältnis bei reduzierter Maximaldosis höher liegen.
Die 50prozentige Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Tumors in 1 auf 10.000 Personenfälle - über die Lebenszeit gerechnet - entspricht zahlenmäßig dem Krebstodrisiko, das bei einer in Deutschland durch den Betrieb von kerntechnischen Anlagen für die Gesamtbevölkerung zulässigen Strahlendosis von 1 mSv [17] für jedes Jahr der Exposition zu erwarten ist (errechnet unter Annahme einer linearen Dosis-Wirkungsbeziehung und Zugrundelegung von Risikodaten der Internationalen Strahlenschutzkommission ICRP, die das Risiko möglicherweise stark unterschätzen [18]).
Schlussfolgerung:
Qualitätsgesicherte xi xin-Drogen bzw. -Drogenextrakte und eine Begrenzung der Anwendungsdauer können das Krebsrisiko auf ein minimales und akzeptables Maß reduzieren. Dabei ist eine Prüfung auf Identität und auf den Aristolochiasäuregehalt mit ausreichend empfindlicher Methodik unumgänglich, zumal in China 30 verschiedene Asarum-Arten sowie 4 Unterarten vorkommen und Verfälschungen häufig sind [3]. Das Totalverbot von Asarum ist unangemessen und ein empfindlicher Verlust für die Therapieoptionen der Chinesischen Arzneitherapie.
Literatur:
- Pharmacopoeia of the People's Republic of China. Vol. I. Beijing: People's Medical Publishing House, 2005
- Drew AK, Whyte IM, Bensoussan A, et al. Chinese herbal medicine database: monograph on Herba Asari, "Xi Xin". Clin Toxicol 2002;40:169-172
- Bensky D, Clavey S and Stöger E. Chinese Herbal Medicine. Materia Medica. 3th ed. Seattle: Eastland Press, 2004
- Chen C, Spriano D, Lehmann T, et al. Reduction of safrole and methyleugenol in Asari radix et rhizoma by decoction. Forsch Komplementmed 2009;16:162-6
- Wiebrecht A. Über die Aristolochia-Nephropathie. Dt Zschr Akupunktur 2000;43:187-197
- Nortier JL, Martinez M-CM, Schmeiser HH, et al. Urothelial carcinoma associated with the use of a Chinese herb (Aristolochia fangchi). New Engl J Med 2000;342:1686-92
- Government of Hong Kong, Department of Health. Management of aristolochic acid (AA) containing herbs and products, 11 June 2004, http://www.cmchk.org.hk/pcm/news/AA_CMTraders_e.pdf
- Hashimoto K, Higuchi M, Makino B, et al. Quantitative analysis of aristolochic acids, toxic compounds, contained in some medical plants. J Ethnopharmacol 1999;64:185-9
- Jong TT, Lee MR, Hsiao SS, et al. Analysis of aristolochic acid in nine sources of Xixin, a traditional Chinese medicine, by liquid chromatography/atmospheric pressure chemical ionization/tandem mass spectrometry. J Pharm Biomed Anal 2003;33:831-7
- Schaneberg BT, Khan IA. Analysis of products suspected of containing Aristolochia or Asarum species. J Ethnopharmacol 2004;94:245-9
- Jiang X, Wang ZM, You LS, et al. [Determination of aristolochic acid A in Radix Aristolochiae and Herba Asari by RP-HPLC] (Chinese). Zhongguo Zhong Yao Za Zhi 2004;29:408-10
- Zhao ZZ, Liang ZT, Jiang ZH, et al. Comparative study on the aristolochic acid I content of Herba Asari for safe use. Phytomedicine 2008;15:741-8
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- N.N. Hormone nach den Wechseljahren: der Skandal setzt sich fort. arzneitelegramm 2002;33:81-3
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- Bundesministerium der Justiz. Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen, 2008
- Schmitz-Feuerhake I. Übersicht zu den Langzeitfolgen von chronischer Niedrigdosisbestrahlung. Strahlentelex 2006;20(460-461):1-5
Spezies (Probe) |
Pflanzenteil |
Extraktion |
Herkunft |
AAI [μg/g] |
AAII [μg/g] |
Studie |
Asarum sieboldii |
radix(?) |
ME |
Japan |
< 1 |
< 1 |
Hashimoto 1999 |
Asarum sieboldii |
radix(?) |
ME |
Japan |
< 1 |
< 1 |
|
Asarum heterotropoides var. mandshuricum |
radix(?) |
ME |
China, Liaoning |
< 1 |
< 1 |
|
Asarum heterotropoides var. mandshuricum |
radix(?) |
ME |
China, Jilin |
< 1 |
< 1 |
|
Asarum heterotropoides var. mandshuricum |
radix(?) |
ME |
North Korea |
< 1 |
< 1 |
|
Asarum heterotropoides var. mandshuricum |
radix(?) |
ME |
Liaoning |
< 1 |
< 1 |
|
Asarum sieboldii var. seoulense |
radix(?) |
ME |
Korea |
< 1 |
< 1 |
|
Asarum heterotropoides var. mandshuricum |
herba(?) |
MEc |
China |
42.2 |
neg. |
Jong 2003 |
Asarum crispulatum (=alternate species) |
herba(?) |
MEc |
China |
3376.9 |
neg. |
|
Asarum sieboldii |
herba(?) |
MEc |
China |
3.3 |
neg. |
|
Asarum fukienense (=adulterant) |
herba(?) |
MEc |
China |
16.6 |
neg. |
|
Asarum fukienense (=adulterant) |
herba(?) |
MEh |
China |
11.7 |
neg. |
|
Asarum sieboldii |
herba(?) |
ME |
China |
neg. |
neg. |
Schaneberg 2004 |
Asarum heterotropoides var. mandshuricum |
herba |
ME |
Jilin |
50.69 |
Jiang 2004 |
|
Asarum sieboldii |
herba |
ME |
Jilin |
71.06 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum |
herba |
ME |
Jilin |
351.1 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum |
herba |
ME |
Liaoning |
26.47 |
||
Asarum sieboldii |
herba |
ME |
Liaoning |
145.0 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum |
herba |
ME |
Liaoning |
neg. |
||
Asarum sieboldii var. seoulense (A) |
radix |
ME |
Hong Kong |
0.19 |
Zhao 2008 |
|
Asarum sieboldii var. seoulense (A) |
radix |
WE |
Hong Kong |
0.04 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum (B) |
herba |
ME |
Hong Kong |
11.91 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum (B) |
herba |
WE |
Hong Kong |
0.34 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum (B) |
planta tota |
ME |
Hong Kong |
5.30 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum (B) |
planta tota |
WE |
Hong Kong |
0.25 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum (B) |
radix |
ME |
Hong Kong |
2.16 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum (B) |
radix |
WE |
Hong Kong |
0.15 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum (C) |
herba |
ME |
Hong Kong |
6.14 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum (C) |
herba |
WE |
Hong Kong |
0.31 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum (C) |
planta tota |
ME |
Hong Kong |
2.21 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum (C) |
radix |
ME |
Hong Kong |
0.93 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum (C) |
radix |
WE |
Hong Kong |
0.05 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum (C) |
planta tota |
WE |
Hong Kong |
0.09 |
Tab. 1: Gehalt an Aristolochiasäure-I (AA-I) bzw. Aristolochiasäure-II (AA-II) in verschiedenen Asarum-Spezies, unterschiedlichen Pflanzenteilen und unterschiedlichen Extrakten. Offizinelle Spezies mit dem Pflanzenteil Radix sind grün hinterlegt, mit anderen Pflanzenteilen gelb, nicht offizinelle Spezies sind braun hinterlegt. Gehalte von wässrigen Extrakten der offizinellen Drogen sind fett gedruckt, sie entsprechen in etwa einem Gehalt, der in einem Dekokt zu erwarten ist. ME = methanolische Extraktion, MEc = extrahiert mit kalten Methanol, MEh = extrahiert mit heißem Methanol, WE = wässrige Extraktion
Ephedra Radix, Ma huang
FDA verbietet Ephedra in Nahrungsergänzungsmitteln
aus: Deutsche Zeitschrift für Akupunktur 47(2),2004,54-56
Am 6. Februar 2004 veröffentlichte das FDA ein Verbot von Nahrungsergänzungsmitteln, die Ephedrinalkaloide, wie Ephedrin oder Pseudoephedrin, enthalten. Darunter fallen Ephedra (MA HUANG), aber auch Pinellia ternata (BAN XIA) und Sida cordifolia, das in der ayurvedischen Medizin und in Afrika verwendet wird. Hintergrund für das geplante Verbot in den USA ist eine erhebliche Kumulation von Nebenwirkungsmeldun-gen nach Anwendung von Ephedra- bzw. Ephedrin-haltigen Nahrungsergänzungsmitteln, die in den USA meist zur Gewichtsabnahme oder zur Leistungssteigerung beim Sport angewendet werden, mit ent-sprechender Gefahr der Überdosierung.
Die betroffenen Drogen: Ephedra (MA HUANG), Pinellia ternata (BAN XIA) und Sida cordifolila
Ephedra wird seit ca. 5000 Jahren medizinisch verwendet und ist damit wahrscheinlich die älteste kontinuier-lich angewandte Heilpflanze der Welt. In der Traditionellen Chinesischen Arzneitherapie (TCA) werden als MA HUANG drei Unterarten verwendet: Das Kraut (Herba) von Ephedra sinica Stapf, E. equisetina Bunge und E. intermedia Schrenk et Mey (1). Die Kommission E nennt in ihrer Monografie "Ephedrae herba (Ephedrakraut)" folgende Arten, die in Fertigarzneimitteln bei uns gebräuchlich sind bzw. waren: "Ephedrakraut, bestehend aus den getrockneten, im Herbst gesammelten, jungen Rutenzweigen von Ephedra sinica Stapf, Ephedra shennungiana Tang oder anderen gleichwertigen Ephedra-Arten" (2).
Rhizoma pinelliae ternatae bzw. BAN XIA enthält nur geringe Mengen an Alkaloiden, laut chinesischen Angaben liegt der Gesamtalkaloidgehalt unter 0,5 Prozent, darunter machen die Ephedrinalkaloide nur einen Teil aus. Sida cordifolia, eine wichtige Droge der ayurvedischen Medizin, enthält dagegen höhere Anteile von Ephedrinalkaloiden, die aber in der Regel nicht an die von Ephedra heranreichen dürften.
USA: unkontrollierte Anwendung von Ephedra zur Gewichtsabnahme und Leistungssteigerung
Hintergrund für das geplante Verbot in den USA ist eine erhebliche Kumulation von Nebenwirkungsmeldun-gen nach Anwendung von Ephedra- bzw. Ephedrin-haltigen Nahrungsergänzungsmitteln, die in den USA meist zur Gewichtsabnahme oder zur Leistungssteigerung beim Sport angewendet werden, mit ent-sprechender Gefahr der Überdosierung. Aus der Literatur und aus den Meldungen, die beim FDA oder den Herstellern eingingen, ermittelte der RAND-Report als schwerwiegende Zwischenfälle Berichte über Todesfälle, Herzinfarkte, cerebrovaskuläre Ereignisse (Schlaganfälle und cerebrale Blutungen), "andere neurologische" Ereignisse, Anfälle und psychia-trische Ereignisse (3). Allerdings sind die freiwilligen Meldungen an das FDA häufig so unvollständig übermittelt, dass im Einzelfall der kausale Zusammenhang nicht mit höherer Wahrscheinlichkeit aufgeklärt werden kann. Das hängt u.a. damit zusammen, dass die Anwendung von Nahrungsergänzungsmitteln nicht unter der Kontrolle von Ärzten steht, und die Meldungen häufig von Laien, teilweise von Verwandten, abgegeben werden. In 98 % der Fälle waren die Informationen unvollständig, in nicht weniger als 80,7 % fehlten Angaben zur eingenommenen Tages-dosis (4). Die Wirksamkeit von Ephedra allein, mehr noch in der Kombination mit Coffein, zur kurzzeitigen Gewichtsreduktion kann durch Probandenstudien als gesichert gelten, bezüglich Leistungs¬steigerung sind die Daten unzureichend (3).
Die Nebenwirkungsfälle müssen vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass in den USA jährlich 2 bis 3 Milliarden (!) Einzeldosen von Nahrungsergänzungsmitteln eingenommen wurden, die Ephedrinalkaloide enthielten (5,6). Der Konsum ist in den letzen 10 Jahren massiv angestiegen. Nach Schätzungen nahmen von 1996 bis 1998 ungefähr 17,2 Millionen US-Bürger nicht verschreibungspflichtige Produkte zur Gewichtsabnahme ein, 2,5 Millionen davon solche, die Ephedra enthielten (7). In der Regel handelte es sich dabei um Kombinations-mittel mit anderen Bestand¬teilen, insbesondere mit anderen sympathomimetisch wirkenden wie Coffein (oft in hohen Dosen) oder Yohimbin. Nahrungsergänzungsmittel unterliegen in den USA den niedrigsten rechtlichen Regularien, die unter denen von Nahrungsmitteln angesiedelt sind (7).
Der RAND-Report identifizierte unter den schwerwiegenden bekannt gewordenen Fällen sogenannte "sentinel events", was man in etwa mit "Warnfällen" wiedergeben kann. Eine derartige Klassifizierung wird ausdrücklich nicht so verstanden, dass damit der Zusammenhang zwischen Ephedra bzw. Ephedrin und Ereignis bewiesen sei. Der RAND-Report ermittelte als "sentinel events" 5 Todesfälle, 5 Herzinfarkte, 11 cerebrovaskuläre Ereignisse, 4 Anfälle und 8 psychiatrische Fälle. Etwa die Hälfte davon betraf Personen im Alter von 30 Jahren oder weniger. Weitere 46 Fälle wurden als "possible sentinel events" eingestuft.
Unter den gemeldeten Nebenwirkungsfällen sind nur wenige, unter denen eine Anwendung von Ephedra oder Ephedrin zur Behandlung von Krankheiten dokumentiert ist, und in diesen Fällen wurden häufig exzessive Dosen angewandt. Unter medizinischer Anwendung in vorgeschriebener Dosierung, darunter im Rahmen der TCA, sind anscheinend keine schwerwiegenden Fälle in den USA registriert worden.
Erhöhtes Risiko bei Kombination mit Sympathomimetika
Bei den gemeldeten Zwischenfällen wurden - soweit dokumentiert - fast immer Kombinations¬mittel aus Ephedra oder Ephedrin mit anderen mehr oder weniger sympathomimetisch wirkenden Substanzen, wie Koffein (meist als pflanzlicher Extrakt), Yohimbin und ähnlichem "verzehrt", die eventuell einen additiven oder potenzierenden Effekt haben. Leistungssport hat einen starken zusätzlichen sympathomimetischen Effekt. Eventuell besteht auch unter den Bedingungen des Fastens oder der verminderter Kalorienaufnahme eine gesteigerte Sensitivität gegenüber Pharmaka. Hinweise darauf ergeben sich aus den Vorfällen bei Aristolochia bzgl. Nierenschäden (8) oder bei anderen Arzneimitteln bzgl. Leberschäden (z.B. 9). Möglich bzw. angesichts des Massenkonsums von Ephedra-produkten geradezu zu erwarten ist auch eine unbeabsichtigte Komedikation mit kontraindizierten Arznei¬mitteln wie MAO-Hemmern, Asthmamitteln oder anderen Sympathomimetika, wobei den verordnenden Ärzten die Einnahme von Ephedra oft nicht bekannt bzw. den Patienten das Risiko nicht bewusst sein dürfte. Hinzu kommt das Risiko der unkontrollierten Dosissteigerung beim Streben nach vermehrter Gewichtsabnahme, größerer sportlicher Leistung oder wegen der psychotropen Wirkung, angesichts der Tatsache, dass pflanzlichen Produkte häufig als grundsätzlich harmlos angesehen werden.
Schlussfolgerungen hinsichtlich TCA-Anwendung von Ephedra
Bei dem Massenkonsum in den USA handelt es sich weitgehend um ein landestypisches Phänomen, da hier eine Gesellschaft mit einem erheblichen und ständig wachsenden Anteil an adipösen Menschen mit einem sehr auf Schlankheit (bei Frauen) sowie Sportlichkeit und Muskelkraft (bei Männern) bedachten Körperideal zusammentrifft. Dazu kommt eine sehr liberale Gesetzgebung bei Nahrungsergänzungsmitteln. Schlussfolgerungen hinsichtlich der kontrollierten medizinischen Anwendung von MA HUANG bzw. Ephedra können aus diesen Vorfällen schwerlich abgeleitet werden. Als stark ausleitende Arznei würde kein vernünftiger TCA-Therapeut MA HUANG unter Bedingungen der beabsichtigten Gewichtsabnahme oder unter intensiverer sportlicher Betätigung einsetzen. "Use with caution in cases of deficiency with sweating or wheezing." schrieben Bensky und Gamble zu einem Zeitpunkt, als der Ephedrakonsum in den USA noch nicht diese Ausmaße angenommen hatte (1). Die westlichen kontraindizierten Diagnosen sollten bekannt sein. In der Textierung der Monografie der Kommission lauten diese: "Angst- und Unruhezustände, Bluthochdruck, Engwinkelglaukom, Hirndurchblutungsstörungen, Prostataadenom mit Restharnbildung, Phäochromocytom, Thyreotoxikose" (2). Bei Herzerkrankungen oder einem merklich erhöhten Risiko für eine koronare Herzerkrankung sollte Ephedra generell vermieden werden. Das Centrum für Therapiesicherheit in der Traditionellen Chinesischen Arzneitherapie (CTCA) bereitet eine Evaluation von MA HUANG / Herba Ephedrae vor.
Und Europa?
Die Hersteller in den USA haben sich schon lange auf die neue Situation eingestellt, zumal die Konsumenten jetzt sensibilisiert sind, und bieten unter alten Labels mit geringen Abwandlungen Ephedra-freie Produkte an. Dafür werden über das Internet inzwischen bei uns zunehmend Ephedra-Produkte angeboten, u.a. kann man diese bei Ebay ersteigern. So z.B. Ephedra Super Caps von D&E, "die Nahrungsmittelergänzung aus den USA", "für Leute und Athleten, die mehr Energie und Power haben oder einfach nur abnehmen möchten". Laut Deklaration enthalten diese 850mg MA HUANG-Extrakt, entsprechend 50mg Ephedrin, Verzehrempfehlung: 1 bis maximal 2 Kapseln pro Tag, nicht länger als 2 Monate. "Es stimuliert nachweislich die Fettverbrennung und führt zu einem höheren Wahrnehmungs¬vermögen". Zwar heißt es: "Nach dem Verzehr sollten keine bio- oder psychoaktiven Stoffe eingenommen werden", aber gleichzeitig fast auffordernd: "Geringe Mengen von Koffein sind verträglich und werden verschiedenen Ephedrinpräparaten sogar zugesetzt, da es die Freisetzung von Fettzellen aus den Fettgewebe stimuliert." Der Preis beträgt ca. 23 € für 100 Kapseln. Früher oder später könnte sich auch bei uns durch unkontrollierte Anwendung von Ephedraprodukten eine relevante Gesundheitsgefahr entwickeln. Es spricht jedoch alles dafür, dass das Risiko bei Verordnung durch qualifizierte Therapeuten im Rahmen der TCA minimal ist.
Literatur
- Bensky D, Gamble A (1993). Chinese Herbal Medicine. Materia Medica. Revised ed: Eastland Press, Seattle,Washington
- Kommission E (1991). Monographie Ephedrae herba (Ephedrakraut). Bundesanzeiger Nr. 11 vom 17.01.1991
- Shekelle PG, Morton S, Maglione M et al. (2003).
- Ephedra and ephedrine for weight loss and athletic performance enhancement: clinical and side effects. Evidence Report/Technology Assessment No. 76 (Prepared by Southern California Evidence-based Practice Center, RAND, under Contract No. 290-97-0001, Task Order No. 9). AHRQ Publication 03-E022. Rockville, MD: Agency for Healthcare Research and Quality; February 2003. Available at: http://www.fda.gov/OHRMS/DOCKETS/98fr/95n-0304-bkg0003-ref-07-01-index.htm Cantox Health Sciences International (2000). Safety Assessment and Determination of a Tolerable Upper Limit for
- Ephedra. Im Auftrag des Council for Responsible Nutrition. December 19, 2000. Abrufbar unter: http://www.crnusa.org/cantoxreportindex.html United States General Accounting Office (GAO) (1999). Dietary Supplements: Uncertainties in Analyses Underlying FDA's proposed Rule on Ephedrine Alkaloids. GAO, Washington, DC. Zitiert nach (4)
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- Ephedra Survey Results: 1995-1999. Survey Administered & Results Compiled by: Arthur Andersen LLP prepared for the AHPA. April 28,2000. Zitiert nach (4) Fontanarosa PB, Rennie D, DeAngelis CD (2003). The Need for Regulation of Dietary Supplements - Lessons From
- Ephedra. JAMA;289:1568-1570 Wiebrecht A (2000). Über die Aristolochia-Nephropathie. Dt Zschr Akupunktur 43:187-197
- Kurtovic J, Riordan SM (2003). Paracetamol-induced hepatotoxicity at recommended dosage. J Intern Med; 253:240-243
Aconitum-Drogen
Aconiti Radix cocta (praeparata) (zhi chuan wu), Aconiti lateralis Radix praeparata (fu zi) und Aconiti kusnezoffi Radix cocta (praeparata) (zhi cao wu) sind essentielle Drogen der Chinesischen Arzneitherapie (CA). Daneben spielt noch Aconiti coreani Radix praeparata (zhi guan bai fu) eine gewisse Rolle. Die botanischen Spezies aus welchen die Arzneien gewonnen werden, zählen zur hochtoxischen Gattung Aconitum. Durch Fehlanwendungen wie eine unzureichend vorbehandelte Droge oder Überdosierungen, oft unter volksmedizinischen Bedingungen sind viele Todesfälle in China und Hongkong – hier vor allem in der Zeit unter britischer Verwaltung, ohne Regulation der Chinesische Medizin - zu beklagen[1]. Ein weiterer, wichtiger Grund für Aconitum-Vergiftungen sind die Verwendung der Arznei als Lebensmittel in "Kraftsuppen" [2].
Verschiedene Aconitum-Arten haben in vielen Ländern der Welt eine lange Geschichte, angefangen von Pfeilgift über Morde und Selbstmorde bis zu medizinischen Anwendungen, einschließlich darunter vorkommender Vergiftungsfälle. Extractum Aconiti, später die Reinsubstanz Aconitin waren bis 1948 Bestandteil des Deutschen Arzneibuchs. Im Unterschied zur europäischen Medizin haben es die Chinesen schon vor 1800 Jahren verstanden, die Drogen zu entgiften, ohne dass die therapeutische Wirkung verloren geht.
Die entscheidenden toxischen Alkaloide der Aconitum-Drogen sind Aconitin, Mesaconitin und Hypaconitin. Die ersten beiden davon sind in ihrer Toxizität vergleichbar, das letztgenannte ist etwa um den Faktor 5 geringer toxisch wirksam. Für den Menschen sind circa 1,5 bis 6 mg Aconitin tödlich [3]. Es handelt sich bei diesen Verbindungen um Diester-Diterpenoid-Alkaloide. Durch eine Hydrolyse wird Essigsäure abgespalten und es entstehen die Substanzen Benzoylaconin, Benzoylmesaconin bzw. Benzoylhypaconin, die ungefähr um den Faktor 200 weniger toxisch sind [4]. Durch einen weiteren Hydrolyseschritt entstehen die in ihrer Toxizität nochmals geminderten Substanzen Aconin, Mesaconin und Hypaconin. Die Hydrolyse wird überwiegend durch längeres Einlegen in Wasser oder Salzlösung und anschließendes Kochen darin und/oder Dämpfen vollzogen. Die präparierten Drogen sind im Tierversuch (LD50 bei der Maus) grob gerechnet um den Faktor 200 weniger toxisch als die Rohdrogen [5].
Vergiftungssymptome
Das erste Symptom einer Aconitum-Überdosierung sind Parästhesien der Zunge, meist als Zungenbrennen beschrieben. Diese sollten ein Warnsignal sein, die Drogenqualität und die Dosierung zu überprüfen bzw. abzusenken. Im weiteren Verlauf einer Vergiftung können sich die Parästhesien über den ganzen Körper ausbreiten, und es kommt zu Schwindel, Übelkeit und Erbrechen, mitunter auch zu Bauchschmerzen und Diarrhö. Schwere Nebenwirkungen sind kardialer Art mit Palpitationen, Hypotension, Brustschmerz und Herzrhythmusstörungen (Blockbilder, ventrikuläre Tachykardie, Kammerflimmern), die meist Ursache für tödliche Folgen sind. Neurologische Auswirkungen sind Muskelschwäche, Lähmungen und Bewusstseinsstörungen. Wenn die Intoxikation überlebt wird, setzt nach ca. 30 Stunden die Erholung ein, ohne dass Schäden zurückbleiben. Eine definitiv wirksame medikamentöse Therapie der Herzrhythmusstörungen ist nicht bekannt.
Die Sensitivität für Vergiftungen ist generell intraindividuell sehr verschieden ausgeprägt, und das gilt auch für die Aconitum-Drogen. Laut Fallberichten verstarb eine 59jährige Frau nach Einnahme von 5 Tagesdosen von 10g Aconiti kusnezoffii Radix praeparata (cao wu) an Kammerflimmern [6], andererseits überlebte eine 59jährige Frau die Einnahme von unbehandelter Aconiti Radix plus Aconiti Kusnezoffii Radix, insgesamt 50g innerhalb von 2 bis 3 Tagen, wobei Symptome überhaupt erst nach der 3. Dosis auftraten [7]. Natürlich spielen dabei das Ausmass der Vorbehandlung und die Drogenqualität eine Rolle.
Bei ordnungsgemäß vorbehandelten Aconitum-Drogen, wie sie in Europa üblich sind, bei angemessener Dosierung und Beachtung von Kontraindikationen ist kein ernsthaftes Risiko zu befürchten. Übliche Messwerte für die Diester-Diterpenoid-Alkaloide in Europa liegen in der Regel in einem sehr niedrigen Bereich oder unterhalb der Nachweisgrenze. Die Vorgaben des Chinesischen Arzneibuchs lassen einen relativ hohen Wert von 0,020% (für fu zi, entsprechend 200µg/g) bzw. 0.040% (für chuan wu und cao wu, entsprechend 400µg/g) zu. Falls eine Arzneidroge diese Werte ausschöpft und im Rahmen der Feuerschule mit überhöhter Dosierung angewendet wird, sind ernsthafte Risiken möglich, auch wenn bislang in Europa keine derartigen Fälle bekannt geworden sind.
Aus Europa ist nur ein einziger Fall einer Aconitum-Vergiftung durch ein (wahrscheinlich) chinesisches Heilmittel publiziert, und zwar handelte es sich um die versehentliche perorale Einnahme eines Mittels zum Einreiben durch einen Chinesen in London. Die aufgenommene Aconitinmenge wurde auf 1 bis 5mg geschätzt, die Intoxikation mit nachfolgendem Kammerflimmern überlebt [8]. Die japanische Pharmakopöe gibt eine Maximalmenge von 450 µg Diesteralkaloide pro g Aconiti Radix vor (aufgeteilt auf die verschiedenen Alkaloide) [9], was als ein ausreichend sicherer Wert erscheint. Im Rahmen einer klinischen Studie in Japan wurde ein Aconitum-Extrakt mit einem Diester-Alkaloid-Gesamtgehalt von 86 µg/g in einer Dosis von bis zu 6g zusammen mit anderen Extrakten verabreicht. Unter 593 Patienten traten nur 5 Nebenwirkungen leichterer Art auf [10].
Schlussfolgerung
Aconitum Drogen sollten nur aus zuverlässigen Quellen bezogen und die Maximaldosierungen, Kontraindikationen und Vorsichtsmaßnahmen beachtet werden (s. u.). Bei Auftreten von Nebenwirkungen wie Zungenbrennen oder Übelkeit sind die Drogenqualität und die Dosierung zu überprüfen. Im Zweifelsfall sollten Messergebnisse für die Diterpenoid-Alkaloide beim Lieferanten erfragt werden. Eine Komedikation der Aconitum-Drogen mit Evodia Fructus (wu zhu yu)oder Digitalis ist zu vermeiden, da diese über einen ähnlichen pharmakologischen Mechanismus wirken (Na+/K+ Pumpe); auch bei Antiarrhythmika könnten ernsthafte Interaktionen auftreten. Bei Einhalten dieser Prämissen besteht für diese essentiellen Drogen der CA kein signifikantes Risiko.
Sicherheitsmaßnahmen für die Verwendung von Aconitum-Drogen
Maximaldosierungen
Aconiti lateralis Radix praeparata (fu zi) 15g
Aconiti Radix cocta (praeparata) (zhi chuan wu) 3g
Aconiti kusnezoffi Radix cocta (praeparata) (zhi cao wu) 3g
Kontraindikationen
Herzerkrankungen (Herzinsuffizienz, koronare Herzkrankheit), Schwangerschaft, Stillzeit, Komedikation mit Evodia Fructus (wu zhu yu), Digitalis oder Antiarrhythmika.
Vorsicht bei
Kindern, alten Menschen, Yin-Mangel, Yang-Übermaß, Hitzezuständen, Komedikation mit Ephedrae Herba (ma huang), Periplocae Cortex (xiang jia pi) or Fossilia Ossis Mastodi (long gu).
Quellen
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Amygdalin-haltige Drogen in der Chinesischen Medizin
Amygdalin ist ein wesentlicher Inhaltsstoff der bitteren Mandeln. Auch in den chinesischen Arzneidrogen Armeniacae Semen amarum (ku xing ren, Aprikosenkerne), Persicae Semen (tao ren, Pfirsichkerne), Pruni Semen (yu li ren) und Mume Fructus (wu mei) ist der Stoff in absteigender Konzentration enthalten. Diese Drogen werden seit mindestens 1800 Jahren in der Chinesischen Medizin eingesetzt und sind bereits in der ersten chinesischen Pharmakopöe, dem shen nong ben cao jing (ca. 220 n. Chr.), enthalten. Armeniacae Semen ist eine wichtige Arznei zur Behandlung von Husten und Asthma, Persicae Semen ein wichtiges Mittel zur Behandlung von Blutstase. Zusätzlich befeuchten beide Drogen den Darm und sind damit günstig bei Obstipation einzusetzen. Xing ren gilt traditionell als leicht toxisch.
Amygdalin als solches ist relativ wenig toxisch. Toxisch wird es, wenn aus ihm durch enzymatischen Abbau Zyanwasserstoff (Blausäure, HCN) freigesetzt wird. Zyanwasserstoff blockiert die Zellatmung, so dass die Zellen keine ausreichende Energie bilden können und absterben. Dem menschlichen Gewebe fehlen die für die Zyanidfreisetzung notwendigen Enzyme, so dass intravenös zugeführtes Amygdalin erst in hohen Dosen gefährlich wird. Die Enzyme sind jedoch in den pflanzlichen Ausgangsmaterialien selbst und in geringerem Ausmaß in der Darmflora vorhanden. In zwei Schritten spalten diese Enzyme jeweils Glukose ab, wobei Mandelonitril entsteht, das durch einen weiteren Hydrolyseschritt in Zyanwasserstoff und Benzaldehyd zerfällt.
Amygdalin wird für einen wichtigen Inhaltsstoff der o.g. Drogen gehalten, eine Reihe pharmakologischer Wirkungen ist für diesen Stoff nachgewiesen [1, 2]. Das chinesische Arzneibuch fordert für Armeniacae Semen amarum einen Mindestgehalt von 3,0 Prozent bzw. 2,5 Prozent für die prozessierte Droge, für Persicae Semen 2,0 Prozent [3]. Damit die Toxizität möglichst gering bleibt, müssen die für den Abbau erforderlichen Enzyme eliminiert werden. Hitze zerstört Amygdalin nicht [4]. In kochendem Wasser wurde aus bitteren Mandeln nach 100 Minuten der maximale Amygdalingehalt extrahiert, danach fiel der Gehalt durch Bildung eines chemischen Epimers (Neoamygdalin) ab [5].
Hitze zerstört jedoch die Hydrolyse-Enzyme, die in den Drogen enthalten sind. Dadurch wird das Potenzial für die Bildung toxischen Cyanwasserstoffs deutlich reduziert. Gefährlich sind Aprikosen- oder Pfirsichkerne, die ohne vorheriges Erhitzen zerkleinert und dann in kurzem Zeitabstand eingenommen werden, so dass die Enzyme freigesetzt werden und ihre Wirkung entfalten können. Auch durch Zerkauen der Kerne werden die Enzyme freigesetzt. Lässt man die Enzyme lange Zeit einwirken, entweicht der entstehende Zyanwasserstoff in die Atmosphäre [5] und die Toxizität verringert sich. Auch durch längeres Lagern der unbehandelten Drogen schwindet der Amygdalingehalt, während durch Hitzebehandlung der Drogen und damit Zerstörung der Enzyme der Gehalt deutlich weniger abnimmt [6].
Mit der Toxizität von Amygdalin existiert viel Erfahrung, weil dieser Stoff unter dem Namen Laetrile zigtausendfach zur Behandlung von Krebs, vor allem in den USA, verwendet wurde. Obwohl er für diese Indikation offensichtlich unwirksam ist, lebte in den 1950’er bis 1980’er Jahren eine florierende Industrie davon. Auch heute noch wird er gelegentlich für diesen Zweck verwendet. Die Dosierung betrug meist zwischen 0,5 und 2,5g pro Tag [7], der Standard war 3mal 0,5g. Eine Reihe von Vergiftungserscheinungen, auch Todesfälle, sind in der Literatur beschrieben. In diesen Fällen lag die Dosis bei Erwachsenen jeweils bei 1,5g und mehr, bei Kindern reichten mitunter schon 0,5g [8-10]. In einem einzigen Fall ist bei Erwachsenen eine Toxizität bei 0,5g Amygdalin beschrieben [8], allerdings sind nähere Details zu dieser Fallmeldung nicht allgemein zugänglich und die Umstände nicht beurteilbar. In einer pharmakologischen Studie an 6 gesunden Menschen wurden unter einer Dosis von 3 mal 0,5g oral keine Nebenwirkungen beobachtet [11]. In einer klinischen Studie an 178 Patienten mit fortgeschrittener Krebserkrankung wurde eine Dosis von 3 mal 0,5g, in einer Minderzahl auch 4 mal 0,5g oral eingesetzt. Bei etwa 30 Prozent der Patienten traten Nebenwirkungen auf, die jedoch keine schweren Ausmaße annahmen [12].
Bei chronischem Gebrauch kann Amygdalin wahrscheinlich zu einer Neuropathie führen, die schon ab 0,5g Tagesdosis beschrieben wurde [13, 14]. Auch über eine Agranulozytose unter 5jähriger Einnahme von 1g Tagesdosis wurde berichtet [15].
Die höchsten Amygdalingehalte, die wir für chinesische Drogen finden konnten, liegen für Armeniacae Semen amarum bei 6,14 % [16], für Persicae Semen bei 3,68% [17]. Nimmt man die offiziellen Maximaldosierungen von jeweils 10g pro Tag [3] ein, so werden maximal 0,61 bzw. 0,37 g Amygdalin zugeführt. Bei der Dekoktherstellung wird das Amygdalin nicht vollständig extrahiert, nach ein- oder zweimaligen Kochen in Wasser über jeweils 60 Minuten liegen die Extraktionsraten bei 74 bzw. 55,7 % [18, 19]. In kochendem Wasser wird zeitabhängig auch ein Teil des Amygdalins in Neoamygdalin umgewandelt [20], das ein Epimer des Amygdalins ist, mit unterschiedlicher Wirkung. Bei der regelhaften Anwendung als Dekokt liegen die zugeführten Amygdalinmengen somit deutlich unter der Toxizitätsgrenze für eine akute Vergiftung.
Aprikosenkerne, die ohne Enzyminaktivierung eingenommen werden, können schon bei relativ geringer Amygdalinmenge fatale Folgen haben. Eine Buchautorin und Vermarkterin von Laetrile wurde selbst Opfer des von ihr propagierten Mittels, nachdem sie 25 Aprikosenkerne (entsprechend etwa 15g) zu Pulver zermahlen, geröstet und mit Honig vermischt eingenommen hatte. Sie landete in komatösen Zustand auf der Intensivstation [21]. Eine 42-jährige Brustkrebspatientin nahm zusätzlich zu einer täglichen Laetrile-Dosis von 1g zerstoßene Aprikosenkerne in Kapselform ein, die vermutlich die Hydrolyseenzyme enthielten, und starb daran [21]. Eine 41jährige Frau verzehrte ca. 30 Aprikosenkerne aus einer als „health food“ vertriebenen Packung und landete mit Koma und Hypothermie auf der Notfallstation [22].
Als Dekokt oder Granulat eingenommen und bei Einhaltung der vorgesehenen Dosierung ist keine Toxizität durch Amygdalin-haltige chinesische Arzneidrogen zu befürchten [23]. Wir haben in der Literatur keine Hinweise auf höhergradige Nebenwirkungen unter fachgerechter Anwendung der Chinesischen Arzneitherapie gefunden. Die Maximaldosis, insbesondere für Armeniacae Semen amarum, muss jedoch beachtet werden, für empfindliche Personen, wie Kinder und alte Menschen, ist sie entsprechend niedriger anzusetzen. Die Tagesdosis sollte auch nicht auf einmal eingenommen, sondern auf zwei oder mehr Einnahmen mit deutlichem zeitlichem Abstand dazwischen aufgeteilt werden. In der Schwangerschaft sind die Amygdalin-haltigen Arzneidrogen kontraindiziert, zumal Amygdalin (in Form von Laetrile), schwangeren Hamstern zugeführt, Missbildungen bei den Nachkommen erzeugte [24]. Eine Langzeit-Anwendung von Amygdalin-haltigen Drogen ist zu vermeiden.
Wie viele chinesische Quellen beschreiben, sollten die Drogen Armeniacae Semen amarum und Persicae Semen durch kurzes Kochen in Wasser (ca. 5 Minuten) oder andere Hitzebehandlungen prozessiert werden, so dass die Enzyme deaktiviert werden und die Lagerbeständigkeit verbessert wird [25, 26]. Diese so vorbehandelten Drogen sollten nicht zu kurz dekoktiert werden, um eventuell noch bestehende Restenzymaktivitäten zu zerstören und ausreichende Konzentrationen des durchaus erwünschten Amygdalins im Dekokt zu erzielen.
Quellen:
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Verbot von Asarum, eine fragwürdige Sicherheitsphilosophie
Dt Zschr Akupunktur 54(2), 2011:47-50
Banning of Asarum – A Case of Questionable Safety Measures
Nachdem in den 90’er Jahren bekannt wurde, dass Aristolochiasäure(AA)-I und –II eine schwere Nephropathie und urotheliale Karzinome hervorgerufen können, fielen auch Aristolochiasäuregehalte in Asarumarten auf. Die in der Literatur veröffentlichten AA-I und AA-II-Gehalte sind jedoch meist gering und liegen teilweise unter der Nachweisgrenze. Im Jahre 2010 wurde in der Schweiz und in Deutschland die Verwendung von Pflanzen der Gattung Asarum in Arzneimitteln verboten. Verglichen mit dem, was bei konventionellen Arzneimitteln oder bei Risiken des täglichen Lebens toleriert wird, ist die die Risikotoleranz hier extrem niedrig angesetzt. Das Totalverbot von Asarum erscheint unangemessen.
Wegen der Aristolochiasäuregehalte wurde im Jahre 2010 in der Schweiz und in Deutschland die Verwendung von Pflanzen der Gattung Asarum in Arzneimitteln verboten. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geht bei diesem Verbot davon aus, dass bei 2jähriger Anwendung ein 50prozentiges Tumorrisiko für die Lebenszeit bei höchstens einer von 1.000.000 Personen tolerabel sei. Dieses Sicherheitsrisiko ist verglichen mit dem, was bei konventionellen Arzneimitteln oder bei Risiken des täglichen Lebens toleriert wird, extrem niedrig angesetzt. Bei einer realistischeren Risikokalkulation, die zahlenmäßig im Bereich des Todesfallrisikos liegt, das für die Gesamtbevölkerung durch den Betrieb von kerntechnischen Anlagen in Deutschland pro Expositionsjahr toleriert wird, könnte das Gesundheitsrisiko durch Begrenzung der Anwendungsdauer und Verwendung von Xi xin-Drogen mit gesicherter Qualität ausreichend minimiert werden. Das Totalverbot von Asarum erscheint unangemessen.
Schlüsselwörter: Chinesische Arzneitherapie, Asarum, Xi xin, Aristolochiasäure, Nephropathie, Tumorrisiko, unerwünschte Arzneimittelreaktion
Abstract
Xi xin – radix et rhizoma asari – is a classical drug in Chinese medicine which is vitally important to various of applications that make it difficult to replace. After it became public in the 1990s that aristolochic acid (AA)-I and –II can cause nephropathia and urothelic carcinoma, aristolochic acid content of asarum species received quite some attention. The AA-I as well as AA-II contents documented in medical literature are actually low, in some cases even undetectable. Asarum crispulatum however, which is not officinal, is characterised by an extremely high AA content. Due to this, in 2010 the use of asarum species was banned in Germany and Switzerland. The Federal Institute for Drugs and Medicinal Devices (BfArM) concedes that during a 2-year use, a 50 % life time tumor risk is only tolerable in 1 out of 1,000,000 persons. Compared to conventional drugs as well as to every day life risks, the safety threshold in this case seems unusually low. By applying more realistic calculations similar to, for instance, the casualty risk for the entire population posed by the use of nuclear energy in Germany per annum, health risks could be controlled by limiting the duration of use, as well as enforcing strict quality control measures on xi xin drugs. A total ban of asarum species, however, seems inappropriate.
Key words: Chinese Herbal Medicine, Asarum, Xi xin, aristolochic acid, nephropathia, tumor risk, adverse drug event
Xi xin – Radix et Rhizoma Asari – ist eine klassische Droge der chinesischen Medizin, die schon in der ersten überlieferten Materia Medica, dem shen nong ben cao jing aus der späten Han-Zeit enthalten war. In der Chinesischen Medizin hat xi xin die Qualitäten scharf und warm, öffnet die Oberfläche, zerstreut Kälte, leitet Wind, Kälte, Feuchtigkeit und Schleim aus und beseitigt Schmerz. Es wird besonders bei Erkältungen, Husten mit dünnflüssigem Sputum sowie Kopf-, Zahn- und Gelenkschmerzen verwendet. Es ist für verschiedene Anwendungen eine essentielle Droge, die durch andere Mittel schwer zu ersetzen ist.
Traditionell ist die Droge vorsichtig zu dosieren, die offizielle Tagesdosis liegt bei 1 bis 3g Rohdroge [1]. Überdosierung kann zu Nebenwirkungen bis hin zu letalem Ausgang führen [2, 3]. Die toxischen Reaktionen werden auf den Inhaltsstoff Safrol zurückgeführt [3]. Safrol gilt auch als schwach hepatocancerogen und gentoxisch. Durch Dekoktieren wird der Gehalt erheblich reduziert und dann als tolerabel angesehen. [4].
Eine ganz andere Problematik tauchte auf, als in den 90’er Jahren Aristolochiasäuren in chinesischen Aristolochia-Drogen als Ursache für eine Reihe schwerer Nephropathien identifiziert wurden, die in einer Belgischen Schlankheitsklinik aufgetreten waren. In der Folge wurden weltweit weitere Fälle aufgedeckt [5], viele davon entwickelten urotheliale Karzinome [6]. Aristolochiasäuren waren schon vorher als stark krebserregend bekannt und hatten 1981 in Deutschland zum Verbot Aristolochiasäure-haltiger Arzneimittel geführt [5]. Im Zuge der in verschiedenen Ländern eingeleiteten Vorsichtsmaßnahmen und Verbote fiel auch ein Aristolochiasäure-Gehalt bei Asarum-Arten auf, der jedoch, wenn er überhaupt nachweisbar war, deutlich unter den bei den Aristolochia-Drogen gemessenen Werten lag.
Um das Risiko zu minimieren, wurde in der Chinesischen Pharmakopöe von 2005 der offiziell verwendete Pflanzenteil, der vorübergehend wegen Beschaffungsproblemen auf Herba, also den oberirdischen Teil umgestellt worden war, auf Radix et Rhizoma geändert, weil diese Teile einen geringeren Aristolochiasäuregehalt aufweisen. In Hongkong wurde bereits 2004 der Vertrieb von Herba oder Planta tota von Asarum verboten und nur noch Radix zugelassen [7].
Aristolochiasäuregehalte in Asarum
Aus der Literatur gehen die in Tab. 1 wiedergegebenen Werte für Aristolochiasäuregehalte von in der Chinesischen Medizin verwendeten Asarumarten hervor [8-12]. Legt man die offizinellen Pflanzenspezies für xi xin und die offizinellen Pflanzenteile (Radix et Rhizoma bzw. Radix) zugrunde (grün unterlegt), so liegen die Werte für Aristolochiasäure-I (AA-I) fast alle unter 1 μg/g, nur ein Wert fällt mit 2,16 μg/g höher aus. Der Gehalt an Aristolochiasäure-II (AA-II) ist im Allgemeinen deutlich niedriger und nur in einem Teil der Arbeiten untersucht worden.
Die Arbeit von Zhao und Mitarbeitern [12] verglich bei mehreren Proben den AA-I-Wert für einen wässrigen Extrakt mit dem für einen methanolischen Extrakt. Bei methanolischer Extraktion findet man im Extrakt einen Großteil der pflanzeneigenen Aristolochiasäure wieder, während der wässrige Extrakt je nach Extraktionsbedingungen mehr oder weniger einem Dekokt entspricht. In diesem Fall wurden die Drogen 20 Minuten in Wasser eingeweicht und dann 40 Minuten lang gekocht. Man erkennt aus den Messwerten (s. Tab. 1), dass durch die wässrige Extraktion der Aristolochiasäuregehalt deutlich abgereichert wird, und zwar bei Radix um einen Faktor zwischen 4,7 bis 18,6. Da durch wässrige Extraktion auch Granulate hergestellt werden, ist ein analoger Sicherheitsabstand auch auf diese übertragbar. Xi xin sollte nicht in Form der pulverisierten Rohdroge eingenommen werden, da in diesem Fall der volle Aristolochiasäuregehalt zur Geltung kommt.
Andere Pflanzenteile, nämlich die oberirdischen Teile (Herba) bzw. die ganze Pflanze (Planta tota) enthalten deutlich höhere Aristolochiasäuregehalte, das Maximum der veröffentlichten Werte liegt bei bedenklichen 142 μg/g. Dramatisch wird es bei einer nicht-offizinellen Spezies, nämlich Asarum crispulatum, das in Sichuan als lokale Variante für xi xin verwendet wird, mit einem Wert von 3.376,9 μg/g [9]. Dieser Wert entspricht einem mittleren Bereich für Gehalte, wie sie in den folgenschweren Aristolochia-Drogen bestimmt wurden [8]. Hieraus ist ersichtlich, wie wichtig der Einsatz offizineller Drogen mit valider Identitätsbestimmung ist.
Verbot durch das BfArM
In Deutschland wurde – ähnlich wie bereits vorher in der Schweiz – mit Bescheid des BfArM vom 22.07.2010 die Verwendung von Pflanzen der Gattung Asarum in Arzneimitteln verboten [13]. Anlass war der Nachweis von AA-I in homöopathischen Urtinkturen von Asarum europaeum mit Werten von 5,1 und 2,7 μg/g. Im Bescheid wird auch auf Literaturangaben mit höheren Aristolochiasäuregehalten hingewiesen, darunter auch auf den oben genannten hohen Wert in Asarum crispulatum.
Bei der Abschätzung des Risikos geht das BfArM von einem tolerablen „cancer life time risk“ von 1:1.000.000 aus. Danach ergibt sich unter Zugrundelegung einer linearen Dosis-Wirkungs-Beziehung bei zweijähriger Aufnahme eine „virtually safe dose“ von 0,36 ng Aristolochiasäure pro Tag. Für Homöopathika wird der oben genannte höchste je für eine Asarum-Art veröffentlichte Aristolochiasäuregehalt von 3.377 μg/g zugrunde gelegt, dabei werde die tolerable Dosis erst ab einer Potenzstufe von D9 unterschritten, mit entsprechendem Sicherheitsabstand werden erst Potenzstufen ab D11 für unbedenklich erklärt. Geht man von den niedrigsten veröffentlichten Aristolochiasäuregehalten im Dekokt für offizinelle Drogen aus, nämlich 0,04 μg/g, so wird die „virtually safe dose“ bei Aufnahme von 1g xi xin gerade überschritten. Aber: Sind die Annahmen für die Berechnung realistisch?
Realitätsferne Sicherheitsvorgaben
Um es noch einmal klar zu formulieren: Das BfArM hält es für gerade noch tolerabel, dass durch Aufnahme von Aristolochiasäure in Phytotherapeutika in einem von 1 Million Fällen über die Lebenszeit gerechnet mit 50prozentiger Wahrscheinlichkeit ein Tumor auftritt.Dieser Sicherheitsfaktor liegt jedoch weit jenseits tolerierter Risiken bei konventionellen Arzneimitteln.
Nach der WHI-Studie erkrankten durch Hormonersatztherapie pro Jahr(!) und pro 1 Million gesunder Frauen 700 zusätzlich an koronarer Herzkrankheit, 800 zusätzlich an Schlaganfällen, 1.800 an venösen Thrombosen und 800 an invasivem Brustkrebs. Die dem gegenüberstehenden 500 Hüftfrakturen und 600 kolorektalen Karzinome weniger wiegen die Negativbilanz nicht auf [14]. Die Hormonersatztherapie ist immer noch zugelassen, wobei deren Sinnhaftigkeit hier nicht diskutiert werden soll. Das wegen eines erhöhten Herzinsuffizienz- und Frakturrisikos umstrittene Antidiabetikum Pioglitazon verursachte nach Auswertung zweier 3-Jahres-Studien bei den Studienteilnehmern 0,3 % (Absolutwert) mehr Blasenkrebs als unter Placebo oder Glibenclamid, das entspricht einer zusätzlichen Karzinominzidenz von 3.000 auf 1 Million innerhalb dieses 3-Jahres-Zeitraums [15].
Erst recht eklatant wird das Sicherheitsgefälle, wenn man allgemeine Risiken des täglichen Lebens heranzieht. So verursacht Tabakrauchen zum Zeitpunkt der Ersterhebung nach einer Untersuchung aus Großbritannien innerhalb von 20 Jahren, wenn man die Daten auf 1.000.000 Erwachsene hochrechnet, 99.485 Todesfälle (errechnet nach [16]). Dabei sind Tabakprodukte ohne Einschränkungen für jedermann im Erwachsenenalter erhältlich.
Sicherlich ist ein Risiko immer im Vergleich zum Nutzen zu bewerten. Die Arzneimittelbehörden verfahren dabei jedoch offensichtlich nach einer Alles-Oder-Nichts-Regel: Wenn die Wirksamkeit eines Arzneimittels – und sei sie auch von noch so geringem Ausmaß - mit Ia- oder zumindest Ib-Evidenz nachgewiesen ist, wird ein mitunter hohes Risiko akzeptiert, während bei ausschließlich erfahrungsbasiert belegtem Nutzen eine Quasi-Null-Risiko-Forderung gilt. Diese Vorgehensweise ist nicht akzeptabel und lebensfremd. Wie das Beispiel Tabakprodukte zeigt – und hier könnten weitere wie Alkohol, Luftverschmutzung usw. angeführt werden, gilt dieser Purismus in anderen Bereichen nicht, wobei das Ausmaß der diesbezüglich tolerierten Gesundheitsschäden nicht gutgeheißen werden soll. Es drängt sich der Eindruck auf, dass konventionelle und komplementäre Therapieverfahren mit zweierlei Maß gemessen werden, wofür wohl das vorherrschende Medizinparadigma verantwortlich zu machen ist.
Andere Möglichkeiten der Risikobegrenzung wären möglich
Eine realistischere und dennoch durchaus weitgehende Risikominimierung könnte z.B. folgendermaßen aussehen: Unter Heranziehung der Grundannahmen des BfArM (die hier nicht näher untersucht werden sollen) wird eine 50prozentige Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Tumors in 1 auf 10.000 Personenfälle - über die Lebenszeit gerechnet - toleriert und die Anwendungsdauer bei einer Dosis von maximal 3g Droge pro Tag auf höchstens 6 Wochen begrenzt. Diese Limits könnten bei einem Aristolochiasäuregehalt von unter 0,1 μg/g im unter standardisierten Bedingungen hergestellten Dekokt (AA-I und AA–II zusammenaddiert) das Tumorrisiko auf das angegebene Maß begrenzen. Die Einhaltung dieses Maximalgehaltes wäre bei Verwendung offizineller Drogen mit niedrigem Aristolochiasäure-Gehalt möglich. Für Granulate könnte der Gehalt entsprechend dem Droge-Extrakt-Verhältnis bei reduzierter Maximaldosis höher liegen.
Die 50prozentige Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Tumors in 1 auf 10.000 Personenfälle - über die Lebenszeit gerechnet - entspricht zahlenmäßig dem Krebstodrisiko, das bei einer in Deutschland durch den Betrieb von kerntechnischen Anlagen für die Gesamtbevölkerung zulässigen Strahlendosis von 1 mSv [17] für jedes Jahr der Exposition zu erwarten ist (errechnet unter Annahme einer linearen Dosis-Wirkungsbeziehung und Zugrundelegung von Risikodaten der Internationalen Strahlenschutzkommission ICRP, die das Risiko möglicherweise stark unterschätzen [18]).
Schlussfolgerung:
Qualitätsgesicherte xi xin-Drogen bzw. -Drogenextrakte und eine Begrenzung der Anwendungsdauer können das Krebsrisiko auf ein minimales und akzeptables Maß reduzieren. Dabei ist eine Prüfung auf Identität und auf den Aristolochiasäuregehalt mit ausreichend empfindlicher Methodik unumgänglich, zumal in China 30 verschiedene Asarum-Arten sowie 4 Unterarten vorkommen und Verfälschungen häufig sind [3]. Das Totalverbot von Asarum ist unangemessen und ein empfindlicher Verlust für die Therapieoptionen der Chinesischen Arzneitherapie.
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- N. N. Blasenkrebs unter Pioglitazon (Actos u.a.). arzneitelegramm 2010;41:108
- Kvaavik E, Batty GD, Ursin G, et al. Influence of inpidual and combined health behaviors on total and cause-specific mortality in men and women: the United Kingdom health and lifestyle survey. Arch Intern Med 2010;170:711-8
- Bundesministerium der Justiz. Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen, 2008
- Schmitz-Feuerhake I. Übersicht zu den Langzeitfolgen von chronischer Niedrigdosisbestrahlung. Strahlentelex 2006;20(460-461):1-5
Spezies (Probe) |
Pflanzenteil |
Extraktion |
Herkunft |
AAI [μg/g] |
AAII [μg/g] |
Studie |
Asarum sieboldii |
radix(?) |
ME |
Japan |
< 1 |
< 1 |
Hashimoto 1999 |
Asarum sieboldii |
radix(?) |
ME |
Japan |
< 1 |
< 1 |
|
Asarum heterotropoides var. mandshuricum |
radix(?) |
ME |
China, Liaoning |
< 1 |
< 1 |
|
Asarum heterotropoides var. mandshuricum |
radix(?) |
ME |
China, Jilin |
< 1 |
< 1 |
|
Asarum heterotropoides var. mandshuricum |
radix(?) |
ME |
North Korea |
< 1 |
< 1 |
|
Asarum heterotropoides var. mandshuricum |
radix(?) |
ME |
Liaoning |
< 1 |
< 1 |
|
Asarum sieboldii var. seoulense |
radix(?) |
ME |
Korea |
< 1 |
< 1 |
|
Asarum heterotropoides var. mandshuricum |
herba(?) |
MEc |
China |
42.2 |
neg. |
Jong 2003 |
Asarum crispulatum (=alternate species) |
herba(?) |
MEc |
China |
3376.9 |
neg. |
|
Asarum sieboldii |
herba(?) |
MEc |
China |
3.3 |
neg. |
|
Asarum fukienense (=adulterant) |
herba(?) |
MEc |
China |
16.6 |
neg. |
|
Asarum fukienense (=adulterant) |
herba(?) |
MEh |
China |
11.7 |
neg. |
|
Asarum sieboldii |
herba(?) |
ME |
China |
neg. |
neg. |
Schaneberg 2004 |
Asarum heterotropoides var. mandshuricum |
herba |
ME |
Jilin |
50.69 |
Jiang 2004 |
|
Asarum sieboldii |
herba |
ME |
Jilin |
71.06 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum |
herba |
ME |
Jilin |
351.1 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum |
herba |
ME |
Liaoning |
26.47 |
||
Asarum sieboldii |
herba |
ME |
Liaoning |
145.0 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum |
herba |
ME |
Liaoning |
neg. |
||
Asarum sieboldii var. seoulense (A) |
radix |
ME |
Hong Kong |
0.19 |
Zhao 2008 |
|
Asarum sieboldii var. seoulense (A) |
radix |
WE |
Hong Kong |
0.04 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum (B) |
herba |
ME |
Hong Kong |
11.91 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum (B) |
herba |
WE |
Hong Kong |
0.34 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum (B) |
planta tota |
ME |
Hong Kong |
5.30 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum (B) |
planta tota |
WE |
Hong Kong |
0.25 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum (B) |
radix |
ME |
Hong Kong |
2.16 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum (B) |
radix |
WE |
Hong Kong |
0.15 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum (C) |
herba |
ME |
Hong Kong |
6.14 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum (C) |
herba |
WE |
Hong Kong |
0.31 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum (C) |
planta tota |
ME |
Hong Kong |
2.21 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum (C) |
radix |
ME |
Hong Kong |
0.93 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum (C) |
radix |
WE |
Hong Kong |
0.05 |
||
Asarum heterotropoides var. mandshuricum (C) |
planta tota |
WE |
Hong Kong |
0.09 |
Tab. 1: Gehalt an Aristolochiasäure-I (AA-I) bzw. Aristolochiasäure-II (AA-II) in verschiedenen Asarum-Spezies, unterschiedlichen Pflanzenteilen und unterschiedlichen Extrakten. Offizinelle Spezies mit dem Pflanzenteil Radix sind grün hinterlegt, mit anderen Pflanzenteilen gelb, nicht offizinelle Spezies sind braun hinterlegt. Gehalte von wässrigen Extrakten der offizinellen Drogen sind fett gedruckt, sie entsprechen in etwa einem Gehalt, der in einem Dekokt zu erwarten ist. ME = methanolische Extraktion, MEc = extrahiert mit kalten Methanol, MEh = extrahiert mit heißem Methanol, WE = wässrige Extraktion
FDA verbietet Ephedra in Nahrungsergänzungsmitteln
aus: Deutsche Zeitschrift für Akupunktur 47(2),2004,54-56
Am 6. Februar 2004 veröffentlichte das FDA ein Verbot von Nahrungsergänzungsmitteln, die Ephedrinalkaloide, wie Ephedrin oder Pseudoephedrin, enthalten. Darunter fallen Ephedra (MA HUANG), aber auch Pinellia ternata (BAN XIA) und Sida cordifolia, das in der ayurvedischen Medizin und in Afrika verwendet wird. Hintergrund für das geplante Verbot in den USA ist eine erhebliche Kumulation von Nebenwirkungsmeldun-gen nach Anwendung von Ephedra- bzw. Ephedrin-haltigen Nahrungsergänzungsmitteln, die in den USA meist zur Gewichtsabnahme oder zur Leistungssteigerung beim Sport angewendet werden, mit ent-sprechender Gefahr der Überdosierung.
Die betroffenen Drogen: Ephedra (MA HUANG), Pinellia ternata (BAN XIA) und Sida cordifolila
Ephedra wird seit ca. 5000 Jahren medizinisch verwendet und ist damit wahrscheinlich die älteste kontinuier-lich angewandte Heilpflanze der Welt. In der Traditionellen Chinesischen Arzneitherapie (TCA) werden als MA HUANG drei Unterarten verwendet: Das Kraut (Herba) von Ephedra sinica Stapf, E. equisetina Bunge und E. intermedia Schrenk et Mey (1). Die Kommission E nennt in ihrer Monografie "Ephedrae herba (Ephedrakraut)" folgende Arten, die in Fertigarzneimitteln bei uns gebräuchlich sind bzw. waren: "Ephedrakraut, bestehend aus den getrockneten, im Herbst gesammelten, jungen Rutenzweigen von Ephedra sinica Stapf, Ephedra shennungiana Tang oder anderen gleichwertigen Ephedra-Arten" (2).
Rhizoma pinelliae ternatae bzw. BAN XIA enthält nur geringe Mengen an Alkaloiden, laut chinesischen Angaben liegt der Gesamtalkaloidgehalt unter 0,5 Prozent, darunter machen die Ephedrinalkaloide nur einen Teil aus. Sida cordifolia, eine wichtige Droge der ayurvedischen Medizin, enthält dagegen höhere Anteile von Ephedrinalkaloiden, die aber in der Regel nicht an die von Ephedra heranreichen dürften.
USA: unkontrollierte Anwendung von Ephedra zur Gewichtsabnahme und Leistungssteigerung
Hintergrund für das geplante Verbot in den USA ist eine erhebliche Kumulation von Nebenwirkungsmeldun-gen nach Anwendung von Ephedra- bzw. Ephedrin-haltigen Nahrungsergänzungsmitteln, die in den USA meist zur Gewichtsabnahme oder zur Leistungssteigerung beim Sport angewendet werden, mit ent-sprechender Gefahr der Überdosierung. Aus der Literatur und aus den Meldungen, die beim FDA oder den Herstellern eingingen, ermittelte der RAND-Report als schwerwiegende Zwischenfälle Berichte über Todesfälle, Herzinfarkte, cerebrovaskuläre Ereignisse (Schlaganfälle und cerebrale Blutungen), "andere neurologische" Ereignisse, Anfälle und psychia-trische Ereignisse (3). Allerdings sind die freiwilligen Meldungen an das FDA häufig so unvollständig übermittelt, dass im Einzelfall der kausale Zusammenhang nicht mit höherer Wahrscheinlichkeit aufgeklärt werden kann. Das hängt u.a. damit zusammen, dass die Anwendung von Nahrungsergänzungsmitteln nicht unter der Kontrolle von Ärzten steht, und die Meldungen häufig von Laien, teilweise von Verwandten, abgegeben werden. In 98 % der Fälle waren die Informationen unvollständig, in nicht weniger als 80,7 % fehlten Angaben zur eingenommenen Tages-dosis (4). Die Wirksamkeit von Ephedra allein, mehr noch in der Kombination mit Coffein, zur kurzzeitigen Gewichtsreduktion kann durch Probandenstudien als gesichert gelten, bezüglich Leistungs¬steigerung sind die Daten unzureichend (3).
Die Nebenwirkungsfälle müssen vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass in den USA jährlich 2 bis 3 Milliarden (!) Einzeldosen von Nahrungsergänzungsmitteln eingenommen wurden, die Ephedrinalkaloide enthielten (5,6). Der Konsum ist in den letzen 10 Jahren massiv angestiegen. Nach Schätzungen nahmen von 1996 bis 1998 ungefähr 17,2 Millionen US-Bürger nicht verschreibungspflichtige Produkte zur Gewichtsabnahme ein, 2,5 Millionen davon solche, die Ephedra enthielten (7). In der Regel handelte es sich dabei um Kombinations-mittel mit anderen Bestand¬teilen, insbesondere mit anderen sympathomimetisch wirkenden wie Coffein (oft in hohen Dosen) oder Yohimbin. Nahrungsergänzungsmittel unterliegen in den USA den niedrigsten rechtlichen Regularien, die unter denen von Nahrungsmitteln angesiedelt sind (7).
Der RAND-Report identifizierte unter den schwerwiegenden bekannt gewordenen Fällen sogenannte "sentinel events", was man in etwa mit "Warnfällen" wiedergeben kann. Eine derartige Klassifizierung wird ausdrücklich nicht so verstanden, dass damit der Zusammenhang zwischen Ephedra bzw. Ephedrin und Ereignis bewiesen sei. Der RAND-Report ermittelte als "sentinel events" 5 Todesfälle, 5 Herzinfarkte, 11 cerebrovaskuläre Ereignisse, 4 Anfälle und 8 psychiatrische Fälle. Etwa die Hälfte davon betraf Personen im Alter von 30 Jahren oder weniger. Weitere 46 Fälle wurden als "possible sentinel events" eingestuft.
Unter den gemeldeten Nebenwirkungsfällen sind nur wenige, unter denen eine Anwendung von Ephedra oder Ephedrin zur Behandlung von Krankheiten dokumentiert ist, und in diesen Fällen wurden häufig exzessive Dosen angewandt. Unter medizinischer Anwendung in vorgeschriebener Dosierung, darunter im Rahmen der TCA, sind anscheinend keine schwerwiegenden Fälle in den USA registriert worden.
Erhöhtes Risiko bei Kombination mit Sympathomimetika
Bei den gemeldeten Zwischenfällen wurden - soweit dokumentiert - fast immer Kombinations¬mittel aus Ephedra oder Ephedrin mit anderen mehr oder weniger sympathomimetisch wirkenden Substanzen, wie Koffein (meist als pflanzlicher Extrakt), Yohimbin und ähnlichem "verzehrt", die eventuell einen additiven oder potenzierenden Effekt haben. Leistungssport hat einen starken zusätzlichen sympathomimetischen Effekt. Eventuell besteht auch unter den Bedingungen des Fastens oder der verminderter Kalorienaufnahme eine gesteigerte Sensitivität gegenüber Pharmaka. Hinweise darauf ergeben sich aus den Vorfällen bei Aristolochia bzgl. Nierenschäden (8) oder bei anderen Arzneimitteln bzgl. Leberschäden (z.B. 9). Möglich bzw. angesichts des Massenkonsums von Ephedra-produkten geradezu zu erwarten ist auch eine unbeabsichtigte Komedikation mit kontraindizierten Arznei¬mitteln wie MAO-Hemmern, Asthmamitteln oder anderen Sympathomimetika, wobei den verordnenden Ärzten die Einnahme von Ephedra oft nicht bekannt bzw. den Patienten das Risiko nicht bewusst sein dürfte. Hinzu kommt das Risiko der unkontrollierten Dosissteigerung beim Streben nach vermehrter Gewichtsabnahme, größerer sportlicher Leistung oder wegen der psychotropen Wirkung, angesichts der Tatsache, dass pflanzlichen Produkte häufig als grundsätzlich harmlos angesehen werden.
Schlussfolgerungen hinsichtlich TCA-Anwendung von Ephedra
Bei dem Massenkonsum in den USA handelt es sich weitgehend um ein landestypisches Phänomen, da hier eine Gesellschaft mit einem erheblichen und ständig wachsenden Anteil an adipösen Menschen mit einem sehr auf Schlankheit (bei Frauen) sowie Sportlichkeit und Muskelkraft (bei Männern) bedachten Körperideal zusammentrifft. Dazu kommt eine sehr liberale Gesetzgebung bei Nahrungsergänzungsmitteln. Schlussfolgerungen hinsichtlich der kontrollierten medizinischen Anwendung von MA HUANG bzw. Ephedra können aus diesen Vorfällen schwerlich abgeleitet werden. Als stark ausleitende Arznei würde kein vernünftiger TCA-Therapeut MA HUANG unter Bedingungen der beabsichtigten Gewichtsabnahme oder unter intensiverer sportlicher Betätigung einsetzen. "Use with caution in cases of deficiency with sweating or wheezing." schrieben Bensky und Gamble zu einem Zeitpunkt, als der Ephedrakonsum in den USA noch nicht diese Ausmaße angenommen hatte (1). Die westlichen kontraindizierten Diagnosen sollten bekannt sein. In der Textierung der Monografie der Kommission lauten diese: "Angst- und Unruhezustände, Bluthochdruck, Engwinkelglaukom, Hirndurchblutungsstörungen, Prostataadenom mit Restharnbildung, Phäochromocytom, Thyreotoxikose" (2). Bei Herzerkrankungen oder einem merklich erhöhten Risiko für eine koronare Herzerkrankung sollte Ephedra generell vermieden werden. Das Centrum für Therapiesicherheit in der Traditionellen Chinesischen Arzneitherapie (CTCA) bereitet eine Evaluation von MA HUANG / Herba Ephedrae vor.
Und Europa?
Die Hersteller in den USA haben sich schon lange auf die neue Situation eingestellt, zumal die Konsumenten jetzt sensibilisiert sind, und bieten unter alten Labels mit geringen Abwandlungen Ephedra-freie Produkte an. Dafür werden über das Internet inzwischen bei uns zunehmend Ephedra-Produkte angeboten, u.a. kann man diese bei Ebay ersteigern. So z.B. Ephedra Super Caps von D&E, "die Nahrungsmittelergänzung aus den USA", "für Leute und Athleten, die mehr Energie und Power haben oder einfach nur abnehmen möchten". Laut Deklaration enthalten diese 850mg MA HUANG-Extrakt, entsprechend 50mg Ephedrin, Verzehrempfehlung: 1 bis maximal 2 Kapseln pro Tag, nicht länger als 2 Monate. "Es stimuliert nachweislich die Fettverbrennung und führt zu einem höheren Wahrnehmungs¬vermögen". Zwar heißt es: "Nach dem Verzehr sollten keine bio- oder psychoaktiven Stoffe eingenommen werden", aber gleichzeitig fast auffordernd: "Geringe Mengen von Koffein sind verträglich und werden verschiedenen Ephedrinpräparaten sogar zugesetzt, da es die Freisetzung von Fettzellen aus den Fettgewebe stimuliert." Der Preis beträgt ca. 23 € für 100 Kapseln. Früher oder später könnte sich auch bei uns durch unkontrollierte Anwendung von Ephedraprodukten eine relevante Gesundheitsgefahr entwickeln. Es spricht jedoch alles dafür, dass das Risiko bei Verordnung durch qualifizierte Therapeuten im Rahmen der TCA minimal ist.
Literatur
- Bensky D, Gamble A (1993). Chinese Herbal Medicine. Materia Medica. Revised ed: Eastland Press, Seattle,Washington
- Kommission E (1991). Monographie Ephedrae herba (Ephedrakraut). Bundesanzeiger Nr. 11 vom 17.01.1991
- Shekelle PG, Morton S, Maglione M et al. (2003).
- Ephedra and ephedrine for weight loss and athletic performance enhancement: clinical and side effects. Evidence Report/Technology Assessment No. 76 (Prepared by Southern California Evidence-based Practice Center, RAND, under Contract No. 290-97-0001, Task Order No. 9). AHRQ Publication 03-E022. Rockville, MD: Agency for Healthcare Research and Quality; February 2003. Available at: http://www.fda.gov/OHRMS/DOCKETS/98fr/95n-0304-bkg0003-ref-07-01-index.htm Cantox Health Sciences International (2000). Safety Assessment and Determination of a Tolerable Upper Limit for
- Ephedra. Im Auftrag des Council for Responsible Nutrition. December 19, 2000. Abrufbar unter: http://www.crnusa.org/cantoxreportindex.html United States General Accounting Office (GAO) (1999). Dietary Supplements: Uncertainties in Analyses Underlying FDA's proposed Rule on Ephedrine Alkaloids. GAO, Washington, DC. Zitiert nach (4)
- American Herbal Products Association (AHPA) (2000).
- Ephedra Survey Results: 1995-1999. Survey Administered & Results Compiled by: Arthur Andersen LLP prepared for the AHPA. April 28,2000. Zitiert nach (4) Fontanarosa PB, Rennie D, DeAngelis CD (2003). The Need for Regulation of Dietary Supplements - Lessons From
- Ephedra. JAMA;289:1568-1570 Wiebrecht A (2000). Über die Aristolochia-Nephropathie. Dt Zschr Akupunktur 43:187-197
- Kurtovic J, Riordan SM (2003). Paracetamol-induced hepatotoxicity at recommended dosage. J Intern Med; 253:240-243