"Rattengift" in chinesischen Heilmitteln?
aus: Deutsche Zeitschrift für Akupunktur (DZA) 47(4),2004:49-51
Unter dieser Überschrift - allerdings ohne Fragezeichen - erschien Ende Juni ein Artikel im Greenpeace Magazin Nr. 4/2004 [1]. Berichtet wird über einen Fall des Allgemeinmediziners Rainer Pliess aus Sulzheim, Unterfranken. Eine schwangere Frau, die wegen Neurodermitis einen chinesischen Heilkräutertee getrunken hatte, sei "krebsrot und mit Pusteln übersät" in seine Praxis gekommen. Herr Pliess führte die Reaktion der Patientin auf Schwermetallbelastung zurück, stellte seine Daten dazu aber nicht zur Überprüfung zur Verfügung.
Der Artikel berichtet, Herr Pliess habe die Heilkräuter in einem Labor auf Schadstoffe analysieren lassen, wonach sich in der Probe 60 µg/kg Cadmium, 30 µg/kg Thallium und 990 µg/kg Blei fanden. Die Kräuter wurden aus einer deutschen Apotheke bezogen. Herr Pliess führte die Reaktion der Patientin auf die Schwermetallbelastung zurück.
Weiter berichtete der Artikel, dass der Allgemeinmediziner im Sommer 2003 aus vier Apotheken (Tübingen, Berlin, Düsseldorf, Gerolzhofen) 80 "gängige Heilkräuterrezepturen aus der traditionellen chinesischen Medizin" kaufte und ebenfalls analysieren ließ. Zum Vergleich besorgte er sich in Deutschland angebaute Heilpflanzen und Wildkräuter aus dem brasilianischen Regenwald. Von den chinesischen Tees seien in einer Probe 102,5 µg/kg Thallium, in einer anderen Probe 626,1 µg/kg Cadmium gefunden worden. Die chinesischen Tees seinen "bis zu hundert Mal höher mit Schwermetallen und Pestiziden belastet" gewesen als die Heilpflanzen aus Deutschland und Brasilien.
Wie sind die Ergebnisse zu werten?
Zunächst ist anzumerken, dass der Greenpeace-Artikel die (in diesen Konzentrationsbereichen wenig gebräuchliche) Einheit "µg/kg" verwendet, die dem mit der Spurenanalytik nicht vertrautem Leser eine hohe Belastung vortäuscht, so entsprechen z.B. 100 µg/kg einem Wert von 0,1 mg/kg (Faktor 1000 !). Zur toxikologischen Beurteilung sind sicherlich weder Wildkräuter aus dem brasilianischen Regenwald heranzuziehen noch in Deutschland angebaute Heilpflanzen, sondern allgemein anerkannte Grenzwerte. Für Arzneimittel gibt es dazu in Deutschland keine allgemein verbindlichen Richtlinien, sondern nur den Entwurf einer Empfehlung des Bundesministeriums für Gesundheit von 1991 [2]. Danach liegen die Höchstwerte, bezogen auf Trockengewicht, für Blei bei 5,0 mg/kg, für Cadmium bei 0,2 mg/kg (in Ausnahmefällen bis 0,5 mg/kg), für Quecksilber bei 0,1 mg/kg. Der Artikel fährt lediglich einen Wert unter den 80 Proben an, der diese Grenzen überschreitet, nämlich für Cadmium mit 626,1 µg/kg (=0,626 mg/kg). Dieses ist sicher kein erfreuliches, aber auch kein so sensationelles Ergebnis, wie der Artikel den Anschein erweckt.
Für die Thalliumbelastung von Arzneimitteln existieren keine Grenzwerte. In dieser Hinsicht kann man die Höchstgehalte heranziehen, die für Lebensmittel festgelegt sind. Bis zum 1. November 2000 galten hierfür die ZEBS-Richtwerte der Zentralen Erfassungs- und Beratungsstelle für Umweltchemikalien [3]. Danach wurden diese vom Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) zurückgezogen [4] und durch die EG-Verordnung 466/2001 [5] ersetzt. Diese wiederum enthält aber keine Werte für Thallium, so dass man auf die ZEBS-Richtwerte rekurrieren muss. "Nach einer gutachterlichen Stellungnahme des Arbeitskreises Lebensmittelchemischer Sachverständiger der Länder und des BgVV (ALS) vom März 2001 können die Richtwerte für in Verordnung (EG) 466/2001 nicht geregelte Sachverhalte weiterhin als Beurteilungsgrundlage dienen, z.B. der BgVV-Richtwert für Thallium in Obst und Gemüse" heißt es auf einer Internetseite des Bundesumwelt-ministeriums [6].
Nach den ZEBS-Richtwerten gilt für Obst und Gemüse ein Thallium-Richtwert von 0,1 mg/kg [3]. Dieser bezieht sich auf frisches Obst und Gemüse. Erhöhte Werte werden praktisch nur für Raps und Grünkohl befunden. Der in einer Probe der von Pliess untersuchten TCM-Tees gefundene Wert von 102,5 µg/kg Thallium würde diesen Richtwert numerisch gerade überschreiten. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass es sich bei dem Tee um getrocknete Pflanzenteile handelt, wobei ein Trocknungsfaktor von mindestens 5 anzusetzen ist, d.h. nach Trocknung von Obst bzw. Gemüse müsste der ZEBS-Richtwert bei 0,5 mg/kg liegen. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass es sich um Tees handelte, die nicht im Ganzen verzehrt, sondern als wässrige Dekokte eingenommen werden. In die Wasserphase gehen aber nach Angaben der Firma Herbasin nur ca. 10 bis 20 Prozent der Schwermetalle über [7], ähnliche Größenordnungen fanden Schilcher und Peters [8] bereits 1990 für den üblichen Heißwasseraufguss: Sie berichteten von Übergangsraten zwischen 10 und 36 Prozent und stellten Modellrechnungen der absoluten Schwermetallgehalte von wässrigen Extraktionslösungen an.
Nach Veröffentlichung des Greenpeace-Artikels stellte die Arbeitsgemeinschaft Deutscher TCM-Apotheken (TCM-Apo AG) umgehend Recherchen in die verschiedensten Richtungen an und versuchte insbesondere, von Herrn Pliess nähere Daten über die Bezugsquellen, die auffälligen Drogen und die Analyseergebnisse zu erhalten. Nachdem diese auf sich warten ließen, kaufte die AG 10 verschiedene chinesische Drogen bei vier verschiedenen Lieferanten ein und ließ diese durch das Labor für Rückstands- und Spurenanalytik der Sebastian Kneipp Forschung in Bad Wörishofen hinsichtlich ihres Gehaltes an Blei, Cadmium, Quecksilber und Thallium in der Droge und im jeweiligen Dekokt analysieren. Bemerkenswert ist dabei, dass für die Dekoktherstellung die weitaus drastischeren Bedingungen des Chinesischen Arzneibuches [9] im Vergleich zum "normalen" Heißwasser-aufguss westlicher Arzneidrogen herangezogen wurden.
Die erhaltenen Daten stützen die Angaben der Firma Herbasin und die Ergebnisse von Schilcher und Peters. Tabelle 1 zeigt die durch Analyse mittels ICP/MS erhaltenen Werte. Bis auf den Bleigehalt von 0,12 mg/kg im Dekokt von Citri Reticulatae Pericarpium (Übergangsrate ca. 12%) sind in allen anderen Dekokten die gefundenen Schwermetallwerte kleiner als die jeweilige Nachweisgrenze. Dies gilt auch für die vergleichsweise hohen Cadmiumwerte in den Drogen Clematidis Radix und Polygoni Multiflori Caulis. Auch für die Thalliumwerte gilt: im Dekokt nicht nachweisbar. Der Leser mag aufgrund dieser Daten selbst beurteilen, ob der oben genannte Tee als rattengifttauglich anzusehen ist.
Lab.- |
Droge |
Pb |
Cd |
Hg |
Tl |
Pb |
Cd |
Hg |
Tl |
12613 |
Clematidis Rd. |
3,01 |
0,28 |
0,02 |
0,038 |
<0,05 |
<0,01 |
<0,01 |
<0,001 |
12614 |
Citri Reticul. Perc. |
0,98 |
0,02 |
0,01 |
0,006 |
0,12 |
<0,01 |
<0,01 |
<0,001 |
12615 |
Tritici Germin. Fr. |
0,10 |
0,01 |
0,01 |
0,001 |
<0,05 |
<0,01 |
<0,01 |
<0,001 |
12616 |
Isatidis Rd. |
0,41 |
0,09 |
<0,01 |
0,081 |
<0,05 |
<0,01 |
<0,01 |
<0,001 |
12617 |
Rehmann. Rd. prp. |
0,66 |
0,02 |
0,01 |
0,013 |
<0,05 |
<0,01 |
<0,01 |
<0,001 |
12618 |
Asparagi Rd. |
0,27 |
0,04 |
0,01 |
0,022 |
<0,05 |
<0,01 |
<0,01 |
<0,001 |
12619 |
Polyg. Multfl. Caul. |
1,28 |
0,51 |
0,01 |
0,150 |
<0,05 |
<0,01 |
<0,01 |
<0,001 |
12620 |
Paeoniae Alb. Rd. |
0,37 |
0,04 |
0,02 |
0,009 |
<0,05 |
<0,01 |
<0,01 |
<0,001 |
12621 |
Moutan Cort. Rdis. |
0,26 |
0,04 |
0,01 |
0,012 |
<0,05 |
<0,01 |
<0,01 |
<0,001 |
12622 |
Biotae Sem. |
0,96 |
0,07 |
0,01 |
0,015 |
<0,05 |
<0,01 |
<0,01 |
<0,001 |
Tabelle 1: Schwermetallgehalte in Droge und zugehörigem Dekokt (alle Werte in mg/kg).
Pb=Blei, Cd=Cadmium, Hg=Quecksilber, Tl=Thallium. Rdr. = in der Rohdroge,
Dkt. = im Dekokt
Im übrigen sei darauf hingewiesen, dass Thallium beim Menschen in Form von radioaktiv markiertem Thalliumchlorid intravenös zur Szintigrafie verabreicht wird, dabei werden üblicherweise 2 µg Trägerthallium eingesetzt [10]. Dieses würde einer Menge von 20g des belasteten Tees entsprechen, falls dieser verzehrt und das darin enthaltene Thallium vollständig resorbiert werden würde. Diese Thalliummenge liegt bei einem 70 kg schweren Menschen um den Faktor 2000 unter der Menge, bei der erste toxikologische Erscheinungen beobachtet werden [10].
Kommentar
Um die Therapiesicherheit für TCM-Drogen zu erhöhen, wäre es hilfreich, wenn Herr Pliess seine Daten bzgl. sämtlicher Messergebnisse und der Lieferanten zumindest für damit befasste Fachleute zur Verfügung stellen würde. Von verschiedenen Seiten wurde er dazu immer wieder aufgefordert: von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher TCM-Apotheken, von Prof. Dobos, Essen und von Seiten des Centrums für Therapiesicherheit in der Traditionellen Chinesischen Arzneitherapie (CTCA). Zwar versprach er immer wieder, diese Daten zu liefern, bisher ist es dazu aber nicht gekommen. Möglicherweise ist der oben genante Messwert für Cadmium der einzige, der die gültigen Höchstgehalteüberschreitet. Wenn man annimmt, dass bei jeder der 80 Proben ungefähr 5 verschiedene Parameter (wie Schwermetalle, Pestizide) untersucht wurden, so käme man auf 400 Messungen. Dafür wäre eine einzige Grenzwertüberschreitung sogar als recht gutes Ergebnis zu bezeichnen. Unter Zugrundelegung dieser Annahme würde die reißerische und unseriöse Aufmachung des Greenpeace-Artikels bei Offenlegung der Daten offensichtlich werden. Ist dieses vielleicht der Grund für das Zurückhalten der Daten?
Die Autoren bleiben die Erklärung, warum die geschilderte Hautreaktion der Patientin bei Schwermetallwerten, die deutlich unterhalb der Grenzwerte liegen, als toxische Reaktion gewertet werden soll, schuldig. In Frage kommt - soweit überhaupt ein Zusammenhang mit dem chinesischen Tee besteht - allerdings eine allergische Reaktion, die natürlich auch unter einer chinesischen Arzneitherapie möglich ist [11]. Aber auch eine Exazer-bation der Grundkrankheit Neurodermitis mit bakterieller Superinfektion, aus welcher Ursache auch immer, kommt in Betracht. Ohne Kenntnis von Details kann keine sachgerechte Bewertung erfolgen.
Immerhin sollte die Überschreitung des Cadmium-Richtwertes in nur einem Fall Anlass genug sein, nach der Ursache für die Belastung zu fragen und an einer Verbesserung der Arzneiqualität zu arbeiten. Leider ist nicht bekannt, von welchem/n Lieferanten die Bestandteile des Tees stammen, ob Prüfzertifikate hierfür vorlagen noch welcher Droge der erhöhte Cadmiumwert zuzuordnen ist. Weder der Greenpeace-Artikel noch Herr Pliess haben dem Schutz des Verbrauchers einen Dienst erwiesen, vielmehr dazu beigetragen, eine Therapierichtung ohne substanziellen Grund zu diffamieren.
Dr. Axel Wiebrecht
Centrum für Therapiesicherheit in der Traditionellen Chinesischen Arzneitherapie (CTCA)
Bundesallee 141
12161 Berlin
Tel. (030) 850 10 67
Fax (030) 8270 4264
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Dr. Uwe Gasser
Sebastian Kneipp Forschung
Labor für Rückstands- und Spurenanalytik
Leonhard- Oberhäußer- Str, 1
86825 Bad Wörishofen
Tel. (08247) 96 59 44
Fax (08247) 96 59 41
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Literatur:
- http://www.greenpeace-magazin.de/magazin/reportage.php?repid=2074
- Bundesministerium für Gesundheit. Bekanntmachung von Empfehlungen für Höchstmengen an Schwer-metallen bei Arzneimitteln pflanzlicher und tierischer Herkunft (Arzneimittel-Kontaminanten-Empfehlungen-Schwermetalle). Entwurf vom 17.10.1991 (BMG 355-5135)
- Richtwerte für Schadstoffe in Lebensmitteln. BGBl 49, 1997:182
- Richtwerte für Schadstoffe in Lebensmitteln werden vom BgVV zurückgezogen. BGBl 43, 2000:1020
- Verordnung (EG) Nr. 466/2001 der Kommission vom 8. März 2001 zur Festsetzung der Höchstgehalte für bestimmte Kontaminanten in Lebensmitteln i. d. F. vom 13. 4. 2004
- Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. http://www.bmu.de/de/1024/js/ sachthemen/gesundheit/gesundheitsstadt/lebensmittel/fachinfo_lebensmittel/
- Firma Herbasin, Schreiben vom 28.08.2000. Pharmazeutische Zeitung Nr. 6/2001
- Schilcher H., Peters H.: "Empfehlung von Richt- und Grenzwerten für den maximalen Blei- und Cadmium-Ge-halt von Arzneidrogen und daraus hergestellter pharmazeutischer Zubereitungen", Pharm Ind 52( 7), 1990:916-921
- Die Zubereitung des Dekoktes erfolgt grundsätzlich nach dem im "Arzneibuch der chinesischen Medizin" (DAV Verlag Stuttgart, Stand 10/2001) beschriebenen Verfahren: 10,0 g Droge in 200 ml Wasser 30 min ziehen lassen, 30 min köcheln, sorgfältig sieben. Die Droge in den Topf zurückgeben und mit 150 ml neuem Wasser 30 min köcheln, sorgfätig sieben. Die beiden Flüssigkeiten vereinigen und das Endvolumen messen.
- Fachinformation Thallium 201TI Chlorid
- Hummelsberger J, Wiebrecht A, Kirchhoff S, Hosbach I, Bervoets-Fauska K, Rapp R. Centrum für Therapiesicherheit in der Traditionellen Chinesischen Arzneitherapie (CTCA) gegründet. DZA 46(4), 2003: 34-36