Seit Ende 2016 stehen Granulate der Chinesischen Medizin unter kritischer Betrachtung seitens der Aufsichtsbehörden, was in zunehmendem Maße zum Vertriebsverbot für Apotheken geführt hat. Derzeit droht auch in Berlin der Entzug der behördlichen Genehmigung. Ein deutschlandweites Verbot von TCM-Granulaten steht somit im Raum.
Nach den gültigen Vorschriften müssen importierte Granulate vom Importeur bzw. von EUanerkannten Instituten auf Identität und Unbedenklichkeit hinsichtlich mikrobiologischer Belastung, Kontamination durch Schwermetalle, Pestizide oder auch Aflatoxine geprüft werden. Entsprechende Zertifikate muss die deutsche Apotheke nachweisen können. Grundsätzlich sind die Apotheken gehalten, noch einmal die Identität zu bestätigen (In-house- Prüfung). Hierfür wurden bisher verschiedene Verfahren eingesetzt, die aber nach den aktuellen Anforderungen nicht mehr ausreichen.
Die als Alternative in der Diskussion stehende Dünnschichtchromatografie (DC) würde für die Apotheken einen erheblichen Prüfaufwand erfordern, weil je nach Chargengröße für jede Charge eine Mehrzahl von Prüfungen vorgenommen werden müsste, so dass oft tausend und mehr Prüfungen für die vorrätig gehaltenen Granulate anfallen würden, mit entsprechendem Aufwand an Personal, Referenzsubstanzen und Lösungsmitteln und nicht zuletzt einer Belastung für die Umwelt und die Gesundheit der Mitarbeiter. Nach den uns vorliegenden Informationen wird das von den Apotheken als wirtschaftlich nicht umsetzbar angesehen. In der Konsequenz wäre dies das Aus für TCM-Granulate in Deutschland, zumindest zu erschwinglichen Preisen, was unabsehbare Folgen hätte.
Die führenden Fachverbände für Chinesische Medizin in Deutschland, das Centrum für Therapiesicherheit in der chinesischen Arzneitherapie (CTCA) sowie deutsche TCMApotheken drücken ihre tiefe Besorgnis darüber aus, dass deutschen Patienten TCMGranulate in der bisherigen Qualität nicht mehr zur Verfügung stehen könnten. Granulate haben sich nach unserer Erfahrung in der Praxis bewährt, insbesondere wenn TCM-Dekokte aus Rohdrogen in bestimmten Alltagssituationen nicht einsetzbar sind. Für nicht wenige Patienten würde der Ausfall der Granulate die Versorgung mit einer Medizin gefährden, die ihnen bei der Bewältigung ihrer Krankheit eine große Hilfe ist. Ein Review unter Einschluss von 56 klinischen Studien (1) fand keinen Unterschied in der Wirksamkeit zwischen Rohdrogen und Granulaten der Chinesischen Medizin. Aussagefähige Placebo-kontrollierte Studien zur Chinesischen Arzneitherapie wurden in der Regel mit Granulaten durchgeführt. In Japan und Taiwan werden TCM- bzw. Kampo-Granulate, nicht aber Rohdrogen, von der gesetzlichen Krankenversicherung erstattet.
Über das Notwendige hinausgehende Qualitätsanforderungen dienen nicht der Patientensicherheit, sondern bewirken eher das Gegenteil: Bei einem Verbot der Granulate in Deutschland werden diese zweifellos aus anderen EU-Ländern oder intransparenten Quellen über das Internet bezogen werden, die unter dem Label Nahrungsergänzungsmittel vertrieben werden und Sicherheitsstandards, die Granulate aus Deutschland bislang bieten, in der Regel nicht erfüllen. Ernste Gesundheitsgefährdungen sind nicht auszuschließen, z.B. sind Fälle von Nierenschäden unter Aristolochia-Drogen auch nach deren Verbot im europäischen Ausland bekannt geworden. Dem Centrum für Therapiesicherheit in der Chinesischen Arzneitherapie (CTCA) sind jedoch keine Gesundheitsgefahren bekannt geworden, die durch fehlerhafte Nachprüfung der Identität durch deutsche Apotheken aufgetreten wären.
Die Prüfanforderungen seitens der Pharmazieräte sind aus unserer Sicht zum Teil sinnvoll und begrüßenswert, zum Teil über das Ziel hinausgehend. Nachdem Granulate vom Lieferanten, d.h. in der Regel vom Importeur, bereits auf Identität und Qualität geprüft wurden, kann es nur noch darum gehen, in der Apotheke Verwechslungen auszuschließen. Unserer Meinung nach sollten dringend Lösungen gesucht werden, die diesem Ziel dienen und wirtschaftlich vertretbar sind. Offensichtlich ist Deutschland das einzige Land, in dem Anforderungen dieser Art an die Identitätsfeststellung von Granulaten in der Apotheke gestellt werden. In vielen europäischen Ländern werden Granulate zum großen Teil gar nicht über Apotheken an den Verbraucher abgegeben. Wir sollten die ungleich sichereren deutschen Vertriebswege für unsere Patienten erhalten.
Die Unterzeichner dieses Aufrufs rufen die Entscheidungsträger eindringlich zu einem Umgang mit Augenmaß bezüglich der bestehenden Thematik auf. Sie beziehen sich ausdrücklich und primär auf das Wohl der Patienten, die damit verbundene Patientensicherheit und die Freiheit der Patienten in der Therapiewahl. Auch in ihrem Namen fordern die Unterzeichner die Entscheidungsträger und die Apotheken auf, sich möglichst bald auf ein praktikables Vorgehen zu einigen. Insbesondere sollten im Rahmen der Diskussion und Umsetzung von Prüfverfahren verstärkt Experten der Chinesischen Arzneitherapie sowie TCM-kundige Apotheker angehört und eingebunden werden.
Arbeitsgemeinschaft für klassische Akupunktur und Traditionelle Chinesische Medizin e.V. (AGTCM)
Centrum für Therapiesicherheit in der Chinesischen Arzneitherapie e.V. (CTCA)
Deutsche Ärztegesellschaft für Akupunktur e.V. (DÄGfA)
Gesellschaft für die Dokumentation von Erfahrungsmaterial der Chinesischen Arzneitherapie (DECA)
Jing Fang Institut Deutschland
Societas Medicinae Sinensis – Internationale Gesellschaft für Chinesische Medizin e.V. (SMS)
(1) Luo H, Li Q, Flower A, Lewith G, Liu J. Comparison of effectiveness and safety between granules and decoction of Chinese herbal medicine: A systematic review of randomized clinical trials. J Ethnopharmacol 2012; 140:555-567