Die Arbeitsgruppe Li et al. mit Wissenschaftlern aus Hongkong und Deutschland hat eine Studie zu 10 chinesischen Arzneidrogen veröffentlicht, in der sie eine (vorgeblich) vorhandene bzw. nicht vorhandene Embryotoxizität, die aus Tierversuchen bekannt sei, mit Ergebnissen aus von ihnen durchgeführten neuen in vitro-Tests verglichen (1). Es handelt sich um folgende Arzneidrogen mit den bezeichneten Charakteristika:
Tripterygium wilfordii (lei gong teng), eine Droge, die aufgrund ihrer erheblichen Toxizität als obsolet gilt,
Hirudo (shui zhi), der Blutegel, traditionell in der Schwangerschaft kontraindiziert
Trichosanthis Radix (tian hua fen), traditionell in der Schwangerschaft kontraindiziert
Coptidis Rhizoma (huang lian), nach modernen Erkenntnissen in der Schwangerschaft kontraindiziert (2)
Astragali Radix (huang qi) – ohne bekanntes Schwangerschaftsrisiko
Paeoniae Radix alba (bai shao) – ohne bekanntes Schwangerschaftsrisiko
Scutellariae Radix (huang qin) – ohne bekanntes Schwangerschaftsrisiko
Notoginseng Radix (san qi) – traditionell in der Schwangerschaft mit Vorsicht anzuwenden
Carthami Flos (hong hua), nach modernen Erkenntnissen in der Schwangerschaft kontraindiziert (2)
Salviae miltiorrhizae Radix (dan shen), traditionell wegen möglicher Abortgefahr in der Schwangerschaft kontraindiziert
Diese Drogen wurden zunächst nach ihrer aus der Literatur bekannten Embryotoxizität (stark – schwach – nicht vorhanden) kategorisiert. Die vorgenommenen Einordnungen sind jedoch in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft.
Tripterygium wilfordii (lei gong teng) und Hirudo (shui zhi) werden zutreffend als stark embryotoxisch klassifiziert. Für das ebenfalls als stark embryotoxisch bezeichnete Trichosanthis Radix (tian hua fen) existieren jedoch keine verwertbaren Daten, die auf ein Dekokt oder ein Granulat anwendbar wären. In der Arbeit von Li et al. werden Daten zu Trichonsanthin angeführt. Dieses ist ein aus Trichosanthis Radix isoliertes Protein, das eine starke Abortwirkung hat und auch klinisch per Injektion für diesen Zweck eingesetzt wurde. Wegen häufiger Allergien wurde diese Anwendung verlassen. Über eine abortive Wirkung hinaus zeigte Trichosanthin embryotoxische und teratogene Effekte im Tierversuch. Das Protein wird durch Hitzeeinwirkung wahrscheinlich denaturiert und ist dann unwirksam. Auch wenn sich dadurch ein embryotoxisches Risiko nicht ausschließen lässt, so können diese Daten nicht auf einen Gesamtextrakt aus Trichosanthis Radix bezogen werden, der aus einer Abkochung hervorgeht. Eine Embryotoxizität von Trichosanthis Radix lässt sich aus den bislang vorliegenden Daten weder herleiten noch negieren.
Auch für Astragali Radix (huang qi) fehlen Daten bzgl. einer möglichen Embryotoxizität. Es existieren lediglich tierexperimentelle Studien zu dem Inhaltsstoff Astragalosid IV. Am Kaninchen bzw. an der Ratte zeigte sich eine erhöhte Anzahl von Todgeburten und teilweise Entwicklungsverzögerungen, jedoch keine Missbildungen (3-6). Eine Aussage zum Gesamtextrakt von Astragali Radix ist aufgrund dieser Daten nicht möglich.
Coptidis Rhizoma (huang lian) wird von Li et al. aufgrund von Literaturdaten als „schwach embryotoxisch“ bezeichnet. Obwohl die eher unwesentliche Studie von Chuang et al. (7) zitiert wird, die hierunter ein nicht signifikantes leicht vermindertes Geburtsgewicht von Neugeborenen zeigte, wird unverständlicherweise die sehr ernst zu nehmende Studie derselben Autorengruppe ignoriert, die ein signifikantes Missbildungsrisiko nachweisen konnte, wenn die Mütter diese Droge während des 1. Schwangerschaftstrimenons eingenommen hatten (8). Coptidis Rhizoma muss daher als stark embryotoxisch behandelt werden, was durch das Vorliegen von Humandaten eine besondere Relevanz erlangt.
Für Paeoniae Radix alba (bai shao) wird ein schwaches embryotoxisches Risiko angegeben, Literaturzitate fehlen dafür. Ein Dekokt aus der Droge zeigte bei der Maus keine embryotoxischen oder teratogenen Effekte, im Test an Stammzellen trat keine signifikante Zytotoxizität auf (9).
Eine fehlende Embryotoxizität für Scutellariae Radix (huang qin), Notoginseng Radix (san qi) und Salviae miltiorrhizae Radix (dan shen) stimmt mit Angaben aus der Literatur überein. Hingegen wird die ausgeprägte Embryotoxizität von Carthami Flos (hong hua) verkannt. Das Dekokt bzw. ein wässriger Extrakt aus dieser Droge zeigte bei der Ratte neben einer erhöhten Abortrate eine erhöhte Rate von Todgeburten, fetalen Entwicklungsverzögerungen und Missbildungen (10, 11), bei der Maus vermehrtes Absterben von Embryonen sowie ebenfalls eine erhöhte Rate von Todgeburten und Missbildungen (12, 13).
Somit stellt ein großer Teil der Angaben zur vorgeblich bekannten Embryotoxizität der 10 Drogen entweder eine Unter- oder eine Überbewertung dar, in zwei Fällen ist eine Beurteilung mangels aussagefähiger Daten nicht möglich. Die Arbeit von Li et al. untersuchte nun für diese Drogen verschiedene in vitro-Methoden zur Bestimmung einer Embryotoxizität und verglich ihre Ergebnisse mit der (vorgeblich) bekannten Embryotoxizität aus in vivo-Versuchen. In vitro-Methoden haben den Vorteil, dass sie zu einer Einsparung von Versuchstieren führen. Es stellt sich die Frage, wie gut sie ein Embryotoxizitätsrisiko vorhersagen können bzw. inwieweit ihre Ergebnisse mit denen aus in vivo-Versuchen korrelieren. Die Arbeitsgruppe wendete 3 verschiedene Testsysteme an, nämlich den embryonalen Stammzelltest (EST), den Mikromassentest (MM) und die komplette Embryokultur (WEC) in zwei Varianten: WEC (PM1) und WEC (PM2).
Eine Übersicht über die vorgebliche, die tatsächlich bekannte in vivo-Embryotoxizität sowie die Embryotoxizitätsprädiktion der verschiedenen in vitro-Testverfahren gibt die Tabelle. Für die Drogen Trichosanthis Radix (tian hua fen) und Astragali Radix (huang qi) können keine Angaben bzgl. einer bekannten Embryotoxizität gemacht werden, da keine verwertbaren Vorergebnisse dazu existieren. Es zeigt sich, dass die in vitro-Ergebnisse häufig von den bisher bekannten Risiken abweichen. Die starke Embryotoxizität von Hirudo wird nur in 2 von 4 Tests als solche identifiziert, die von Coptidis Rhizoma nur in 1 von 4, die recht gut belegte starke Embryotoxizität von Carthami Flos wird überhaupt nicht als solche erkannt. Andererseits sprechen Ergebnisse aus mehreren in virto-Tests für eine schwache Embryotoxizität von Drogen, von denen eine solche nicht bekannt ist.
Schlussfolgerung
Die Veröffentlichung von Li et al. hat die bisher bekannte Embryotoxizität aus in vivo-Versuchen zum großen Teil nicht korrekt wiedergegeben. Die ausgeprägte Embryotoxizität von Coptidis Rhizoma und von Carthami Flos wurde unterbewertet bzw. negiert, eine angebliche schwache Embryotoxizität von Paeoniae Radix alba wird nicht belegt und steht im Gegensatz zu Daten aus der Literatur. (Auf zahlreiche weitere Fehler bei den Zitaten, den Zahlenangaben bzw. den Einheiten zu Angaben aus der Literatur soll hier nicht weiter eingegangen werden.). Die vorgestellten in vitro-Testverfahren stellen eine interessante Bereicherung dar, ihre Ergebnisse zu den 8 Drogen mit verwertbaren vorliegenden in vivo-Daten korrelieren jedoch nur bedingt mit den bisher bekannten Ergebnissen aus der Literatur. Zur Frage, inwieweit in vitro-Teste zur Reproduktionstoxizität chinesischer Arzneidrogen in vivo-Studien ersetzen können, bedarf es weiterer Forschung.
Axel Wiebrecht